Kriegsgefangenenlager Gorki 185

Begonnen von md11, Sa, 08. November 2008, 20:29

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md11

Ein Erlebnisbericht über das Lager Gorki 185

Zählappell bei 30 Grad unter Null im Lager Gorki

Das Lager 185 war eines der größten Gefangenenlager in Rußland. Eine alte Spinnerei und eine Weberei dienten als Unterkunft. Die Gebäude befanden sich in erbärmlichem Zustand, die meisten dicht am Zusammenbruch. Aber wir armen Kriegsgefangenen fühlten uns doch etwas geborgen, da wir wenigstens ein Dach über dem Kopf hatten.

Unter schwersten Entbehrungen mußten hier 22000 Soldaten ihr Dasein fristen. Man ahnte ja auch nicht, ob es etwas Besseres geben würde. Da waren Kriegsgefangene aus Deutschland, Italien, Österreich, Spanien und Rumänien arme Kameraden. Und wie schlief man? Das sogenannte ,,Bett" war eine überaus große Pritsche aus Rindenbrettern. Stroh oder gar Matratzen konnten wir uns nur wünschen, wenn unsere Rippen schmerzten. Wir lagen so dicht aneinandergepreßt, daß man sich nicht drehen konnte. Wie gerne hätte man sich einmal auf den Rücken gelegt oder das lästige Ungeziefer, das wir als ständige ,,Haustiere" unser Eigen nannten, vertrieben.

Man konnte sich einfach nicht bewegen, und so konnte man den Schlaf auch nur in kleinen Etappen finden, wenn die Augen vor Übermüdung zufielen. Gerne verließen wir nach solcher Nachtruhe dieses ,,Bett", froh darüber, endlich die steif gewordenen Glieder strecken zu können.

Wir wurden in drei Gruppen eingeteilt:
die noch Gesunden = Arbeitsgruppe 1, Gruppe 2 die etwas Angeschlagenen, die man für innere Lagerarbeit brauchen konnte. Kranke und Unterernährte = Gruppe 3 für Stubendienst, d. h. Baracke sauber halten. Die Arbeitsgruppe hatte es erbärmlich schwer.
Ca. 5000 Mann mußten in den Wald zum Holzfällen und Holztransportieren. Und so sah unser Tag aus: Morgens um 5 Uhr Wecken, Frühstück, Abmarsch 6 Uhr, 30 bis 40 km zur Arbeitsstelle. Der Hunger begleitete uns auf dem - Marsch ständig, so daß wir immer versuchten, unterwegs ein paar Beeren zu ergattern. Abends mußten wir kleinere und größere Stämme ,,heim"tragen. Dabei brach mancher unter der Last zusammen, dann mußte nicht nur das Holz, sondern auch der Kamerad mitgeschleppt werden.

Unter diesen Strapazen ging Sommer und Herbst dahin, und der Tag wurde kür¬zer und die Luft kälter. Abends saßen wir dann in der Baracke und wärmten uns gegenseitig. Dabei kamen unaufhaltsam die Gedanken an zu Hause. Wenn dann einer von gutem Essen sprach, lief einem das Wasser im Munde zusammen. Das förderte alles unser Heimweh und stärkte unsere Hoffnung auf eine Heimkehr, wenn sie auch sehr im Nebel lag. Inzwischen schneite es gewaltig, das Thermometer sank immer tiefer und zeigte minus 30 Grad. Und wir waren dankbar für die Kälte, denn wir mußten nicht mehr in den Wald. Plötzlich ein schriller Pfiff. Appell! Unsere schöne Stimmung war dahin. Draußen mußten wir uns in Hundertschaften, wie gedrillt, aufstellen. Es wurde gezählt. Am Ende fehlten 11 Mann. Noch mal das gleiche, immer waren 11 Mann nicht da. Zu unserer Unterhaltung bei minus 30 Grad im Freien wurde Anton, unser Zigeuner, aufgefordert, Tänze vorzuführen. Dabei schlotterten wir vor Kälte. Ein anderer Mitgefangener, der Sänger beim Stuttgarter Rundfunk war, mußte singen. Weil in der klaren kalten Nacht der Himmel voller Sterne war, mußte er ,,Heimat, deine Sterne" singen. So standen wir in der eiskalten Nacht und weinten bittere Tränen. Inzwischen wurde es 3 Uhr morgens. Jetzt erlaubten die russischen Zähler, daß auch die Gefangenen mitzählen durften, aber auch hier war das Resultat das gleiche: 11 Mann fehlten. Endlich wurden die Baracken durchsucht, und da fand man auch die 11. So war also die Zahl endlich vollständig und wir konnten wegtreten.

Quelle:Alte Kameraden (1995)

mfg
Josef