Wettlauf zum Douaumont 25.Februar 1916

Begonnen von md11, Mi, 13. Juni 2007, 22:24

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md11

Die Nacht vom 24. auf den 25. Februar war die erste ruhige Nacht für die »Brandenburger« des Generals Lochow. Das III. Korps hing zwar immer noch etwas zurück, hatte jetzt aber den Waldgürtel hinter sich gebracht. Ein Bataillon war sogar über das befohlene Angriffsziel hinausgeschossen.

Erschöpft, doch nicht mutlos hatten sich die 24er in den flachen Granatlöchern des Hermitage-Waldes schlafen gelegt, die die französische Feldartillerie in den harten Boden gerissen hatte. Auf den unebenen Boden kam eine Lage Zweige, darüber eine Zeltbahn, auf der sich die Infanteristen im Mantel ausstreckten und mit einer zweiten Zeltbahn zudeckten, die sie gegen den Schnee schützen sollte. Ab und zu stand einer der Männer, die sich aneinanderdrängten, um sich gegenseitig zu wärmen, von der Eiseskälte hochgetrieben auf und schlug mit den Armen um sich.

Feldwachen sicherten nach vorne. Auf den umgewühlten Feldern und zerschossenen Waldstücken suchten bis in die Nacht Sanitäter und mit Tragen ausgerüstete Hilfskräfte nach Verwundeten. Der Frost verkürzte bei den Schwerverwundeten den Todeskampf. Zugleich rettete er vielen, die sonst verblutet wären, das Leben, denn die Wunden schlossen sich rascher als bei normaler Temperatur.

Vor dem Bataillon lag auf einer kleinen Erhebung ein neunzehnjähriger Kriegsfreiwilliger aus Berlin, Bernhard Lehmann, mit seiner Gruppe als »Unteroffiziersposten«, obwohl er gar nicht Unteroffizier, sondern nur Gefreiter war. Zu essen gab es morgens nichts. Wer noch einen Rest seiner Eisernen Portion hatte, kratzte ihn zusammen, andere gingen auf Suche nach weggeworfenen Tornistern. Die Feldküche war auch heute nicht zu sehen.
Trotzdem war die Stimmung gut, wie der 24jährige Leutnant der Reserve, Eugen Radtke, befriedigt zur Kenntnis nahm, als die 24er am frühen Vormittag des 25. an den Südrand des Hermitage vorrückten, um sich im Schutz des dichten Unterholzes am Waldsaum bereitzustellen.

Die Franzosen waren allerdings früher aufgestanden. Im Sonnenlicht sahen die 24er etwa 400 m entfernt auf einer Anhöhe die erste feindliche Stellung, in der der Gegner wie im Manöver ungeniert beim Schanzen war. Lehmann, technischer Fotograf von Beruf und deshalb bei den Offizieren, die sich gerne »für die Heimat« aufnehmen ließen, sehr geschätzt, bedauerte, seinen Fotoapparat bei der Bagage zurückgelassen zu haben. Ob man ihm den kostbaren Apparat in Verdun auch ins richtige Quartier bringen würde? Lehmann fragte sich, warum man so trödelte, anstatt den Franzosen »einzuheizen«. Sie stellten erst einmal ihre Uhren.


Oberleutnant von Brandis und seine 8. Kompanie hatten die Nacht weitaus angenehmer verbracht als die 6. und 7. Kompanie. Nur die Hälfte seiner Leute blieb in den verschneiten Schützenlöchern, die anderen konnten es sich in den geräumigen Unterständen einer eroberten französischen Batterie bequem machen. Brandis nahm ein kräftiges Frühstück mit Eisbein, Sauerkraut und Ananas zu sich. Seine gute Laune wurde noch durch die Verstärkung verbessert, die ihm sein Bataillonskommandeur geschickt hatte, zwei Züge schwerer Maschinengewehre, die ihr Führer Leutnant Calow auf den Dächern der Unterstände postierte, um Brandis' Männer »überschießen« zu können und damit beim Stürmen nicht zu gefährden.

Ähnlich gut ging es Leutnant Fritz Klingenberg von der 5. Kompanie, dessen Zug morgens vorverlegt wurde und ebenfalls einen verlassenen, sogar heizbaren französischen Unterstand fand. Vincenz Pluczik, der Bursche des Kompanieführers Schünemann, machte einen Glühwein aus französischem Rotwein und ein Mahl aus erbeutetem Büchsenfleisch. Die Aussicht, hier als Reserve einen Ruhetag zu verbringen, war Klingenberg nicht unangenehm. Um den Douaumont machte er sich keine Gedanken, er sollte ja, wie er in sein Tagebuch kritzelte, erst den ganzen Tag lang und die nächste Nacht über von der schweren Artillerie »eventuell sturmreif« geschossen werden.

Von Brandis dagegen wollte der Douaumont, das »nördlichste und stärkste Sperrfort« vor Verdun, nicht aus dem Kopf. Ungeduldig geworden ließ er durch seine MGs auf die Franzosen feuern, die sich vor ihm in aller Ruhe eingruben. In der Etappe, in Hirson, hatte das Regiment den Angriff auf betonierte Grabenstücke einer »Scheinfestung« geübt, von der Ausbildung in Königsberg her kannte er den Sturm auf Festungswälle, zum Beispiel den Bau einer Pyramide aus Menschenleibern, um eine hochliegende Mauerkrone zu erreichen. Das Infanterie-Regiment 24 aus Neuruppin hatte eine lange Tradition, es war schon beim Sturm auf die Düppeler Schanzen dabeigewesen, und Brandis hoffte, die Eroberung des Forts als seine Heldentat in die Annalen der preußischen Armee zu schreiben.

Von seinem Bataillonskommandeur wurde er immer wieder vertröstet, der Angriff würde erst am Nachmittag stattfinden: »Brandis - Geduld! Die Artillerie baut noch um.« »Scheiß auf die Artillerie«, knurrte Brandis am Telefon zurück. »Inzwischen graben sie sich ein bis über die Ohren!«

Mittags bekam Brandis den Besuch eines Verbindungsoffiziers vom Bataillon des Hauptmanns Bloem vom Grenadier-Regiment 12, das jetzt 1 km rückwärts bei der Chambrettes-Ferme lag. Mit der Verbindung zur Nachbardivision wollte es trotz allem nicht klappen. Bloems Grenadiere waren nicht auszumachen.


Zu sehen bekam den Douaumont nur die 10. Kompanie, die auf der linken Seite das Infanterie-Regiment 64 ablöste und aus diesem Grund einen Stellungswechsel vornehmen mußte. Mit größter Vorsicht, im Gänsemarsch und zu einzelnen Gruppen, marschierte die Kompanie durch einen halbzerschossenen Verbindungsgraben zum Caurieres-Wald hinüber, da der Graben über eine Höhe führte und von den gegnerischen Linien beobachtet wurde.

In einer tiefen Waldschlucht sammelte sich die Kompanie wieder und mußte dann noch einmal steil hinauf und auf glatten, morastigen Pfaden wieder hinunter. Überall im Wald passierten sie erstürmte Unterstände, aus denen die deutschen Truppen Sachen herausgerissen hatten, Kleidungsstücke französischer Soldaten, Decken, Waffen, Papiere - Anzeichen einer überstürzten Flucht. In den Schluchten führten Schmalspurbahnen zu den einzelnen Geschützunterständen und den danebenliegenden Munitionsstapeln.

Als er seine Leute in einer Reihe von Schützenlöchern am Waldrand verteilt hatte, sah der Kompanieführer in über 2 km Entfernung auf der Höhe ganz deutlich als scharfe Silhouette gegen den Himmel die kantigen Umrisse des Forts Donaumont.


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Da Walter Bloem nachts in einem engen, stickigen Grabenloch, »Leib an Leib gepreßt«, kaum Schlaf gefunden hatte, war er früh aufgestanden und zur Chambrettes-Ferme hinübergeschlendert, die ihm gestern das Leibregiment 8 »weggeschnappt« hatte. Über Nacht war das Bauerngehöft zusammengeschossen worden, im Hof lagen zwischen französischen Handgranatenkisten Verwundete, die auf den Abtransport warteten. Alle anderen waren inzwischen verschwunden. Im Laufe des Vormittags zog Bloem in einen gerade frei gewordenen Unterstand an der Südwest-Ecke des Hermitage-Waldes ein, in dem vorher ein Jäger-Bataillon unter Major von Quitzow gelegen hatte. Beim Großreinemachen durch die Offiziersburschen stellte es sich heraus, daß die Franzosen ihren Müll einfach im Unterstand begraben und darauf geschlafen hatten. Unter großer Heiterkeit wurden Hühnerknochen, Zigarettenschachteln, Konservenbüchsen, alte Zeitungen, Briefschaften, Fetzen von verrotteten Kleidungsstücken zutage gefördert - »brüllender Jubel« kommentierte die Entdeckung von Präservativen, zu denen sich dann auch noch Postkarten mit pornographischen Darstellungen gesellten. Dies sei wohl ein »Museum der französischen Soldatenseele«, meinte - etwas pharisäerhaft - Walter Bloem.

Nachdem der »Dreck« aus dem Haus war, streckte sich Bloem auf einem alten Strohsack gemütlich zum Schlafen aus. Aber nun mußte er bald die Kehrseite deutscher Ordnungs- und Sauberkeitsliebe feststellen. Es kam ihm vor, als sei ein dicker, schützender Teppich hinweggeräumt worden, so hart und fußkalt war nunmehr der Boden.

Während sein Bataillon draußen in der Sonne saß, kam von rechts aus Richtung Louvemont Kampflärm herüber. Offenbar war dort früher mit dem Angriff begonnen worden.


Um 14.00 Uhr verstärkte sich das Artilleriefeuer. Endlich, gegen 15.00 Uhr, klingelte beim Fernsprechposten der 8. Kompanie das Telefon, am Apparat war von Klüfer, der Bataillonskommandeur: »Schreiben Sie! Befehl: Das Bataillon greift um 16.00 Uhr an. Im Verband der 5. und 6. Division. Die Linien werden um etwa 1800 m vorgeschoben. Der Befehl ist jedem Unteroffizier bekanntzugeben. Keinesfalls darf wieder durchgegangen werden.«

Wenig später fügte der Befehlsübermittler hinzu: »Nehmen Sie den Bleistift, verbinden Sie das C von Chauffour mit dem roten Strich an der Südecke Hassoule-Wald - das ist die zu erreichende Linie.«

Brandis' Enttäuschung wurde noch größer. Nicht nur, daß die 24er 400 m vor dem Douaumont liegenbleiben muf;ten, sie sollten auch noch den Angriff, der erst für den nächsten Tag geplant war, den Festungspionieren überlassen. Überdies war vom Stab des III. Armee-Korps der Sturmstreifen so verschoben worden, daß Brandis' Kompanie links am Fort vorbeiging, zugunsten der Nachbardivision, der Grenadiere von Bloem.


Kurz vor 16.00 Uhr steigerte sich das Artilleriefeuer. In  zwei Wellen sollten die 24er vorgehen, zuerst die 6. und rechts daneben die 8. Kompanie, hinter ihnen die 7. und 5. als zweite Welle. Auf der linken Seite dieser Kompanien, die noch nicht wußten, daß sie die Helden dieses Tages sein würden, nahmen die Männer des 3. Bataillons ihre schweren Tornister und setzten die Bajonette auf die Gewehrläufe. Nach der neuerlichen kalten Nacht ließ keiner mehr seine Decke zurück, um etwa das Gepäckgewicht zu verringern.

Plötzlich schlugen deutsche Artilleriegeschosse bei der 6. Kompanie ein. Haubitzen oder 21-cm-Kaliber, konstatierte wütend Hauptmann Haupt, der Führer der 7. Kompanie. Die Angriffsordnung war »zum Teufel«. Da der Artillerie-Verbindungsoffizier nur das Feuer der Feldgeschütze über den Fernsprecher leiten konnte, hatte er auf die Fernartillerie keinen Einfing. »Zugführer zu mir«, kommandierte Haupt: »Alles auf einen Ruck vor. Die nächste Lage muß schon hinter uns liegen!«h Die 7. Kompanie stürzte vor, in die Linie der 6. hinein, wo sich die Getroffenen am Boden wälzten.

Auf der rechten Flanke dagegen zögerte Brandis, da von seinen Nachbarn, den 12ern, immer noch jede Spur fehlte.


In seinem Unterstand bei der Chambrettes-Ferme wartete indessen Hauptmann Walter Bloem von den 12ern auf den Angriffsbefehl. Als Verfasser einiger patriotischer Bücher über den Krieg »70/71« ein Lieblingsautor des Kaisers, galt Bloem als das Renommierpferd der 5. Division und war, wie man munkelte, aus diesem Grund für die Erstürmung des Douaumont vorgesehen. Immer wieder ließ er von seinem Adjutanten, Oberleutnant Maron, das Telefon prüfen. Und immer wieder hieß es: »Die Leitung ist ganz.« Aber es kam und kam kein Befehl.


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Als Leutnant Radtke von der 6. Kompanie plötzlich die Männer der anderen Kompanien hinter sich herankommen hörte, hob er, ohne den Befehl seines Kompanieführers abzuwarten, seinen Karabiner, den er statt des üblichen Gewehrs trug. Sein Zug hatte sich schon in Bewegung gesetzt. Auch hier war der MG-Führer auf die Idee gekommen, die vorgehenden Infanteristen in der Talsenke zu überschießen, so daß sie an den ersten französischen Graben heran waren, bevor die Franzosen sie überhaupt bemerkt hatten. Verblüfft ließen sich die meisten gefangennehmen. Der Gefreite Lehmann glaubte, noch niemals so viele Franzosen »auf einen Haufen« gesehen zu haben.

Während ein Teil der Franzosen schon erleichtert in »Richtung Deutschland« marschierte, schossen einige wenige noch. Die Gefangenen boten den weiterlaufenden Deutschen Zigaretten und Konserven an, Verwundete schrien, ein älterer Franzose hielt Radtke die Fotos seiner Kinder entgegen: »Pardon, pardon, camarade! Nix schießen!« Wie sich herausstellte, waren diese Einheiten nach einem Eilmarsch von 70 km gerade herangeführt worden und hatten die Situation noch gar nicht erfaßt. Hauptmann Haupt, der Führer der 7. Kompanie, blieb zurück, Melder und Handreserve bei sich, und wartete auf seinen Telefonisten Schneider, der mit der abschnurrenden Drahtrolle auf dem Rücken herankeuchte, neben ihm der Artillerie-Verbindungsoffizier Wackerzapp mit seinem zusammengeklappten Scherenfernrohr. Für die Männer, die zur Rückführung der Gefangenen als Bewachung abkommandiert wurden, war der Krieg für heute vorbei. »Also Jungs, weiter«, rief Radtke.


Leutnant Klingenberg vom 3. Zug der 5. Kompanie sah nun endlich auch die 8. Kompanie vor sich aus der Deckung hervorbrechen. Sofort setzte allerdings auf dieser Seite schweres Gewehrund Maschinengewehrfeuer ein. Brandis traf auf einen härteren Gegner als Radtke und Haupt. Bis auf 100 m kam er indessen gut an den feindlichen Graben auf der Bodenwelle heran, da Leutnant Calow seine MGs über die Köpfe der Stürmenden hinwegfeuern ließ und so die Franzosen zum Deckungnehmen zwang, doch dann waren im Nu die Franzosen aus dem Graben heraus und erwarteten die Deutschen sogar »stehend freihändig« mit ihren Gewehren. Klingenberg wurde beim bloßen Zusehen unbehaglich zumute. Die ersten Gefangenen, die ihm entgegenliefen, kamen ihm in ihren nagelneuen blauen Uniformen allerdings gar nicht »kriegsmäßig« vor. Freudestrahlend drückten sie den Deutschen die Hände. Klingenberg nahm bei der Gelegenheit einem Captain gleich die Pistole und das Prismenglas ab, um es nicht den »Etappenfritzen« in die Hände fallen zu lassen. Er stutzte- ein Glas mit deutscher Fabriksignatur! Der erschreckte Franzose beteuerte, es nicht etwa einem Deutschen abgenommen zu haben. Unbehelligt wurde er dann nach hinten geschickt. Oben auf der Anhöhe beim eroberten Graben angekommen, sah Klingenberg Brandis bereits 500 m weiter vorgehen, während ein großer Teil seiner Leute sich noch immer im eroberten Graben aufhielt und sich dabei »wichtig« tat. Klingenberg war der Ansicht, daß diese »Drückeberger« sich nur von dem weiteren Angriff fernhalten wollten.


13 Minuten nach 16.00 Uhr wurde Bloem gemeldet, daß die 24er bereits vorgingen. Es mußte also etwas bei der Befehlsübermittlung nicht geklappt haben! Als Bloem aus seinem Kompaniestand hinaustrat, sah er nun selber die Leute von Brandis bereits weit voraus. Seine eigenen Männer, die jetzt endlich im Laufschritt den 24ern nacheilten, kamen jedoch weiter. Aus dem Chauffour-Wald kamen die gezielten Stöße französischer MGs, und der Douaumont lag noch in weiter Ferne.



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#3
Inzwischen waren Radtkes Leute weitergelaufen, ohne sich darum zu kümmern, was rechts und links vor sich ging. Sie kamen .jetzt in die Erdbeerschlucht. Zur Rechten wurden sie zu ihrem Glück durch einen kleinen ansteigenden Höhenkamm gegen Feindsicht geschützt, andererseits konnten sie aber auch nicht beobachten, was sich um sie herum abspielte. Es begann wieder zu schneien. Lehmann, nach anderthalb Jahren Krieg schon so etwas wie ein »alter Hase«, sagte sich nur, daß man einen Feind, der davonläuft, so lange verfolgen sollte wie es nur ging.

Plötzlich tauchte der Douaumont aus dem Schneetreiben auf, Qualm und Rauch über sich, bedeckt mit unregelmäßig tanzenden Fontänen der einschlagenden Granaten, ein massiver Koloß, aus dem in immer gleichen Abständen das Mündungsfeuer eines Panzerturms aufblitzte. Der großgewachsene Feldwebel neben Lehmann ließ sich etwas zurückfallen. »Machen Sie, daß Sie nach vorne kommen!« rief Radtke, dessen Trupp immer mehr abbröckelte, ihm zu. »Ich muß aufpassen, daß keiner zurückbleibt! « entschuldigte sich der Feldwebel. Radtke hatte Zeit zu Berliner Schlagfertigkeit: »Nee, es bleibt nur einer zurück, und das sind Sie!« - Lehmann hörte etwas klatschen. Der Soldat neben ihm, der mit lachendem Gesicht gerade sein Gewehr abgefeuert hatte, stürzte zu Boden, ohne zu schreien. Direkt ins Herz, dachte Lehmann, wenn es einen Heldentod gibt, dann diesen.

Hinter den flüchtenden Franzosen herlaufend, gelangten Radtke und sein Trupp bis zu einer Landstraße, die, wie sich später herausstellte, vom Dorf Douaumont nach Bezonvaux führte, als auf einmal wieder die Granaten der eigenen Artillerie heulend und fauchend um sie herum einzuschlagen begannen. Lehmann wußte als Gruppenführer natürlich nichts von der Linie, die auf den Karten der Kompanieführer eingetragen war und den äußersten Punkt des deutschen Angriffs bezeichnete. Innerhalb von 25 Minuten hatten die 24er das Angriffsziel erreicht und dabei 1 km zurückgelegt. Einigen wurde nun doch mulmig zumute. »Leutnant, was wird denn nun?

Verwirrt rannten sie ein Stück zurück; für die deutschen Artilleristen, die wohl an einen französischen Gegenstoß glaubten, war das offenbar nur die Aufforderung, nun noch rasender zu feuern. Hilflos blieben sie stehen. Diesmal war es Lehmann, der an Radtke, den einzigen Offizier bei dem kleinen Trupp, die Frage richtete: »Herr Leutnant, was nun?«

Im Grunde war Radtke ebenso ratlos wie Lehmann und die anderen: »Lehmann, nu ist es egal, ob wir morgen mit oder ohne Gewehr herumlaufen!« Zurückgehen war im Granatfeuer ebenso gefährlich wie Vorwärtslaufen, Stehenbleiben und Eingraben kam bei dem hartgefrorenen Boden ebenfalls nicht in Frage. Die mögliche Gefangenschaft war noch das harmloseste. Siedendheiß war Radtke dieAnordnung aus dem Exerzierreglement für die Infanterie bewußt, seit er die Angriffslinie überschritten hatte: »Die Selbständigkeit der Unterführer darf nicht zur Willkür werden.  Noch während des Laufens feuerte er eine Signalpatrone nach der anderen ab, um den Artilleriebeobachter auf sich aufmerksam zu machen, doch die grünen Raketen verpufften wirkungslos im Rauch der explodierenden Granaten.

Der Infanteriegraben vor einem breiten Drahtverhau, auf den die Männer nach dem Überqueren der Straße stießen, war unbesetzt. Ungefähr zwanzig Deutsche aus verschiedenen Kompanien drängten durch die Lücken, die die deutschen Granaten in den Stacheldraht gerissen hatten. Radtke blieb wie immer mitten im Rudel, um nicht aufzufallen und von einem Scharfschützen herausgeschossen zu werden.

Niemand hatte Drahtscheren. Die Uniformhosen waren zerrissen, die Hände bluteten, da niemand Handschuhe hatte. Noch immer schwiegen die französischen Schützengräben vor ihnen, nur der Panzerturm weiter oben auf dem Glacis donnerte alle paar Minuten.
Plötzlich standen sievoreinem letzten Hindernis, einem 2 bis 3 Meter hohen massiven spitzen Eisengitter, an dem sie langsam entlangwanderten, bis sie eine Bresche fanden, die eine deutsche Granate gerade gerissen hatte. Radtke blickte nach unten in den Fortgraben, die Steilwand war an dieser Stelle leicht eingedrückt. Unten, 4-5 Meter tiefer, lag Geröll. Was nun zu tun war, hatte er nicht bei ihren Übungen gelernt, das war eigentlich eine Sache der Pioniere: durch »Minieren« von außen die in der Wallmauer verborgenen Grabenstreichen zu sprengen.

Leitern, Stricke oder Fallgatter waren natürlich nicht vorhanden. Radtke überlegte nicht lange, er und Feldwebel Wiedenhus knüpften hastig ihre Gewehrriemen ab, und Radtke ließ sich, von Wiedenhus gehalten, herunter. Es war 17 Uhr.

Was ihn im Graben erwarten konnte, hatte Radtke allerdings im Unterricht gelernt: das tödliche Feuer aus den Grabenstreichen mit den nach innen gerichteten MGs und Revolverkanonen, dem der Eindringling im Fortgraben schutzlos ausgeliefert war.

In diesem Augenblick erhielt Lehmann auf dem Wall - offenbar von einem Klumpen hartgefrorener Erde, den eine Granate hochspritzte - einen Schlag gegen die Schläfe und verlor das Bewußtsein. Als er wieder zu sich kam, waren seine Kameraden, die ihn offenbar für tot gehalten hatten, verschwunden. Doch um wieder zu ihnen zu kommen, brauchte er nur ihren Fußspuren nachzugehen, die sich im frisch gefallenen Schnee abzeichneten. Lehmann ließ sich nun ebenfalls in den tiefen Graben hinunter, indem er an den Telegrafenstangen herunterrutschte, die seine Kameraden inzwischen aufgestellt hatten. Zum ersten Mal sah er die Schießscharten in den Grabenwänden mit den Rohren der Revolverkanonen. Sie schwiegen noch immer.



Gruß
Josef

md11

#4
Als Radtke und seine Leute in den Douaumont eindrangen, 12war das Fort kaum noch kampftüchtig. Der französische Generalstab hatte, was die deutsche Führung nicht wußte, aus dem Zusammenbruch des belgischen und nordfranzösischen Festungssystems im Jahre 1914 Konsequenzen gezogen und am 5. August 1915 die Desarmierung des Festungsgürtels im Süden befohlen. Dieser Maßnahme lag die sogenannte »Nutzlosigkeitstheorie«i7 zugrunde, die der französische Kriegsminister Roques in folgende Worte faßte: »Bei der Zerstörungsgewalt der gegenwärtigen Artillerie sind die ständigen Werke eines festen Platzes einer sicheren Vernichtung preisgegeben. Eine geschlossene Festung wird infolgedessen in kurzer Zeit zu Fall gebracht. Unter diesen Umständen hängt die Verteidigung des Landes ausschließlich von dem Feldheere ab.«

General Dubail, dessen Heeresgruppe 1915 Verdun unterstand, hatte hinzugefügt: »Die festen Plätze, die einer Einschließung ausgesetzt sind, haben keine Rolle mehr zu spielen und dürfen in keinem Fall um ihrer selbst willen verteidigt werden. Die Truppen der Plätze sind als bewegliche Feldeinheiten zu gebrauchen.«

Die Wert- oder Nutzlosigkeitstheorie war nicht neu und nur durch die schlechten Erfahrungen, die die Franzosen und Belgier 1914 mit ihren Sperrforts gemacht hatten, wieder hervorgeholt worden. Was auch sollte eine Festung noch für eine besondere Bedeutung besitzen, nachdem die ganze Front sich in eine einzige riesenhafte Festung verwandelt hatte?

Für Verdun hatten diese Anordnungen zur Folge, daß aus den umliegenden betonierten Zwischenstellungen mehr als 40 Batterien mitsamt 128000 Schuß Munition fortgeschafft worden waren. Eine andere Maßnahme, die vielleicht folgenreich war, betraf die Befehlsgewalt; der Festungskommandant, der bis dahin für die Festung allein verantwortlich gewesen war und mit seinem Kopf für ihre Verteidigung gehaftet hatte, wurde nunmehr dem Befehlshaber der betreffenden Armee, in dessen Operationsbereich die Festung lag, untergeordnet.

Aus der Festung Verdun wurde eine »region fortifiee«, in der die Panzerforts ihre ehemalige Sonderstellung verloren. Trotzdem war bei Verdun eine Ausnahme gemacht worden. Zwar sollte der »befestigte Bereich« seine Bedeutung einzig im »augenblicklichen Dienst« haben, den er den Operationsarmeen leistete. Doch schien es dem französischen Oberkommando, daß »die moralische Wichtigkeit, die dem Besitz von Verdun beizulegen ist, die Einhaltung eines gewissen Mittelweges« verlange. »Es ist notwendig, alle wichtigen Maßnahmen zu treffen, um sich der Drohung, wie sie sich im feindlichen Stellungsverlauf ausdrückt, zu widersetzen. « Gleichzeitig war die Aufgabe der Festung nicht ausgeschlossen worden, so daß der Kommandant der Region 1915 den Auftrag gegeben hatte, auch auf dem westlichen Ufer der Maas Richtung Bar-le-Duc Verteidigungsstellungen vorzubereiten.

Von den theoretischen Spitzfindigkeiten, die einerseits vom »moralischen Wert« sprachen, andererseits den Fluchtweg offenhielten, hatte das deutsche Oberkommando keine Ahnung. Doch war ihm bekannt, daß die Festung weitgehend »desarmiert« und an Truppen »ausgedünnt« worden war.

Auch das Fort Douaumont war von den Anordnungen Dubails in Mitleidenschaft gezogen worden. Zwar hatte keine Demontage der Kanonen stattgefunden, doch gab es zum Zeitpunkt des deutschen Angriffs am 25. Februar keine selbständige Fortbesatzung, die für eine geordnete Bedienung aller Türme und Grabenwehren hätte sorgen können. Die beiden Maschinengewehre, die in die beiden stählernen MG-Türme gehörten, standen in Kisten verpackt in den Kasematten. Noch nicht einmal ein Beobachter saß in der höchsten Panzerkuppel, von der sich eine Übersicht über das Schlachtfeld anbot.

Der furchterregende Eindruck, den der massive Koloß auf die vorstürmenden Brandenburger ausübte, war nichts als eine optische Täuschung. Der Douaumont stellte keineswegs mehr den »Angelpunkt« des gesamten Verteidigungssystems von Verdun dar .20 Im Gegenteil, General Herr, der Festungskommandant von Verdun, hatte sogar die Zerstörung des Douaumonts und seines Nachbarforts Vaux ins Auge gefaßt. Am 24. Februar war der Befehl zur Selbstzerstörung gegeben worden, doch die Offiziere, die ihn ausführen lassen sollten, kamen niemals in den Forts an. (Im Fort Vaux brachte eine deutsche Granate später zufällig die Sprengladung zur Explosion und zerstörte den einzigen Geschützturm des Forts.)

Auf der höchsten Spitze eines Höhenzugs gelegen, 388 m über dem Meeresspiegel, überragte der Douaumont alle anderen Erhebungen der Umgebung. Aus der Sicht des Fliegers zeigte das Fort eine charakteristische mächtige Polygon-Form, ein Fünfeck, dessen Anlage auf die Tradition des berühmten französischen Festungsbauers Vauban zurückging. Den Kern bildeten im Mittelteil ein Kasernenbau, ein zweistöckiges Kasemattensystem, in dessen labyrinthischen Fluren und Zwischengängen sich ein Fremder leicht verlaufen konnte. Quer durch die Kaserne führte der Hauptgefechtsgang, von dem aus es zu den einzelnen Kasematten für die Unterbringung der Mannschaften, für die Waschräume und Küche, für das Lazarett und die Kommandoräume und vor allem für die Munition ging. Um den Kasernenbau herum führte eine Ringstraße, die im Einbahnsystem befahren wurde und teilweise durch überdachte Durchfahrten lief.

Bereits im Jahr 1885 war mit dem Bau des Forts begonnen worden, zunächst als Mauerwerk mit einer darübergelegten Erdschicht. Von Jahr zu Jahr wurden die Bauten erweitert und durch eine Betonschicht verstärkt, die an einigen Stellen 2,50 m stark war, über der wiederum eine 4 m dicke Erdschicht lagerte. Die Artillerie- und Beobachtungstürme erhielten eine Stahlpanzerung, ebenso die MG-Stände. Die Panzertürme mit ihren versenkbaren Geschützen waren so fortschrittlich, daß noch beim Bau der Maginotlinie später nach dem gleichen Konstruktionsprinzip verfahren wurde. Zu den einzelnen Türmen der 7,5-cm und 15,5-cm Kanonen führten unterirdische Verbindungsgänge, ebenso zu den weit draußen liegenden Zwischengrabenstreichen, die in den drei nach Norden, zur Feindseite, angelegten Winkeln des Fünfecks lagen und so eingerichtet waren, daß ein etwaiger Eindringling unweigerlich ins Kreuzfeuer geraten mußte.


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An der Südseite, der abgewandten Angriffseite in Blickrichtung Verdun, lag der Haupteingang, die »Kehle« des Forts, die durch eine Zugbrücke und ein mächtiges Gatter versperrt werden konnte. Von hier aus lief ein Gang direkt auf den unteren Gefechtsgang zu und von dort weiter bis zu der mittleren Außenkasematte, von der man auf die Ringstraße und die beiden Nordhöfe hinaustrat. Mit einem Umfang von mehr als einem Kilometer bot der Donaumont innen Platz für 5 Fußballplätze.

Statt der 500 Mann, die zur ständigen Besatzung des Forts gehörten, befanden sich am 25. Februar nur noch ungefähr 70 ältere Angehörige der Landwehr, vor allem Artilleristen, in den Kasematten. Weitere Infanteristen, die im Fort oder in Baracken außerhalb gelegen hatten, waren zur Verteidigung weiter vorne eingesetzt. Durch den Wechsel im Kommando, das vom XXX. Korps an das XX. Korps überging, war im allgemeinen Chaos das Fort vergessen worden. Die meisten Truppen des XXX. Korps waren sowieso schon in alle Winde zerstreut. Niemand aus dem Oberkommando in der Zitadelle von Verdun hielt es für nötig, dem Fort besondere Aufmerksamkeit zu widmen und die Landwehrleute von den Geschehnissen um sie herum zu informieren. Und auch sie selbst hatten wenig Interesse daran, sich durch einen Blick aus den Beobachtungstürmen ein Bild von der Lage zu machen.

Der Verantwortliche für die Landwehrmänner, ein Wachtmeister namens Chenot, saß in einer Kasematte und beschäftigte sich mit Schreibarbeiten. Einzig der 15,5-cm-Panzerturm war in Betrieb, doch er schoß nicht auf die Brandenburger, sondern. blind nach Karte, weit hinten auf eine Straßenkreuzung bei Azannes. Diesen Turm allerdings hatte die deutsche Artillerieführung für erledigt gehalten und statt dessen den Turm mit den 7,5-Doppelschnellfeuerkanonen durch schwere Granaten eindecken lassen - und der wiederum war seit langem außer Funktion, ohne daß man dies auf deutscher Seite bemerkt hätte.

Radtkes Trupp war, nachdem er ungehindert in den breiten Fortgraben der Nordflanke gelangte, unmittelbar auf das ansteigende Glacis gestiegen, hatte teilweise auf allen vieren kriechend die in die Kasemattenkaserne führende Ringstraße erreicht und war in den Eingängen der Norddurchfahrt verschwunden, um seinen Eroberungszug fortzusetzen. Das »dramatischste Drama des ganzen Krieges« war so gut wie abgeschlossen,ohne daß bisher auch nur ein Gewehrschuß gefallen wäre. Von allen Seiten sickerten die Deutschen in das Dunkel des Forts ein, von dem sie noch nicht einmal eine Skizze besaßen.


In dem rund 250 m entfernten Dorf Douaumont blieb der 13Fall des Forts so gut wie unbemerkt. Das Dorf wurde vom 95. Infanterie-Regiment verteidigt, dessen Kommandeur, obwohl verwundet, fest entschlossen war, es auf keinen Fall preiszugeben. Erst am Vormittag hatte das Regiment in einem Eilmarsch von 72 km den Bereich des Douaumont erreicht und seine Bataillone auf die Stellungen verteilt. Auf den Gedanken, eine Patrouille zum Douaumont hinüberzuschicken, zu dem immer noch bequem begehbare Wege hinüberführten, kam kein Offizier. Von der Generalität lag nur der Befehl vor, um jeden Preis die eigene Stellung zu halten.

Überall bildeten sich am 25. Februar kleine Widerstandsinseln mit entschlossenen französischen Offizieren. Die Front war auseinandergerissen, nach Verdun selbst strömten fliehende Soldaten und Troßfahrzeuge. Geschütze standen im Stich gelassen in ihren Stellungen. Mitunter war sogar vergessen worden, die Verschlüsse mitzunehmen, so daß die Deutschen sie sofort umdrehen und auf die Franzosen richten konnten. »Fluchen, Peitschenhiebe, stöhnende Achsen, alles lärmt durcheinander. Viele der Zurückweichenden gehen barhäuptig. In ihren Augen ist tierischer Schrecken zu lesen, und ihre verstohlen nach hinten geworfenen Blicke verraten Angst vor einer möglichen Verfolgung«, so charakterisierte Oberleutnant Pericard die Lage, der nun als Kompanieführer im Dorf saß und auf die Deutschen wartete. Der Hauptangriff wurde aus dem Chauffour-Wald erwartet.

Auf das Dorf fielen keine Granaten. Gegen 16 Uhr wurde Pericard durch weiße Leuchtrakten in der Nähe des Forts beunruhigt. Wenig später liefen in einiger Entfernung zwischen den Drahthindernissen des Dorfes und des Forts fliehende französische Soldaten mit Zuavenmützen vorbei. Pericards Vorgesetzter Delarue, der die seitlich vor dem Dorf liegenden Grabenstücke beaufsichtigte, hielt sie offenbar für Deutsche und befahl MG-Feuer.
Pericard, noch immer im Zweifel, überredete ihn, das Feuer einzustellen, und schickte einen Feldwebel hinüber, um Gewißheit zu bekommen. Dieser Feldwebel wurde jedoch von den Zuaven und Marokkanern beschossen, verschwand in einem Granattrichter und kam erst nach Einbruch der Nacht wieder. Inzwischen hatte der Regimentskommandeur befohlen, auf alle Fliehenden an dieser Seite zu schießen, um kein Risiko einzugehen. Pericard war nun ganz sicher, als Zuaven verkleidete Deutsche vor sich gehabt zu haben. Daß eigene, fliehende Truppen voller Angst den Feldwebel, der sie offenbar wieder an die Front zurückschicken wollte, beschossen hatten, wollte ihm nicht in den Kopf. Zumindest behielt er diese Vermutung für sich. Bald nach dem Zusammenstoß zwischen dem Feldwebel und den »vermeintlichen Zuaven« sah er auf dem Fort eine große gelbe Flagge »siegreich« wehen, die er in seiner Phantasie mit einem schwarzen Adler ausschmückte. Daß die ganze Zeit ein Maschinengewehr vom Kirchturm herunter die Deutschen auf dem Fortglacis beschoß, war ihm beim Abfassen seines Berichts später offenbar aus dem Gedächtnis entglitten.


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Die rechts von Radtkes buntem Haufen vorgehenden Kompanien blieben derweil immer weiter zurück, da sie in das MG- und Infanteriefeuer gerieten, das aus dem Chauffour-Wald und dem Dorf Douaumont auf sie herabschlug. Mit dem Sturmlauf war es vorbei. Zuaven flüchteten vor ihnen. In kurzen Sprüngen von Trichter zu Trichter schoben sich Klingenberg und andere nach vorn. Trotz der Kälte waren sie in Schweiß gebadet. Neben Klingenberg fiel der Gefechtsmelder, 5 Minuten später sein Nachfolger.

Der Kirchturm von Douaumont kam in Sicht. Völlig außer Atem legte Klingenberg in einem Graben vor einem Drahthindernis eine Verschnaufpause ein, als neben ihm Hauptmann Haupt von der 7. Kompanie in den Trichter sprang. Aufgeregt fragte Haupt, ob Klingenberg noch Leuchtpatronen hätte, die Artillerie müsse ihr Feuer vorverlegen, die 7. und die 8. Kompanie hätten Verluste und kämen nicht weiter. Er habe eine Meldung nach der anderen nach hinten geschickt, doch alles ohne Erfolg. Das Fort, so stieß er hervor, müsse unbedingt noch heute unter allen Umständen angegriffen werden, es sei nur schwach besetzt, die Besatzung hätte in einem bereits von den 24ern genommenen Graben gelegen und sei gefangengenommen. Haupt fügte hinzu, daß er Oberleutnant von Brandis nach hinten geschickt hätte, um der Artillerie Bescheid zu geben.

Klingenberg und seine Leute verließen den gestürmten Graben und liefen zum Fort. Vom Dorf her feuerte ein Maschinengewehr. Jammernd blieben rechts und links die Getroffenen liegen. Wieder gab es eine kritische Situation, als Klingenberg den tiefen Fortgraben zu Gesicht bekam. Unschlüssig blieb er stehen. Da sah er rechts eigene Leute in der Tiefe verschwinden. Es war dieselbe Stelle, durch die Radtke nach unten gesprungen war. An der Bresche stauten sich die Infanteristen und standen, obwohl die Kugeln über sie hinwegschwirrten, an der Lücke im Eisenzaun regelrecht Schlange, bevor jeder an die Reihe kam. Selbst beim Manöver wäre ein Sturm in dieser Form niemals durchgeführt worden. Pionierleutnant Voigt, der noch außerhalb stand, machte in aller Ruhe ein paar fotografische Aufnahmen. Auf der anderen Seite des Grabens sah Voigt die ersten die steile Böschung hinter dem Graben wieder emporklettern. Klingenberg warf sein Gewehr nach unten und ließ sich an den Holzbalken hinunter. Unten bekam er natürlich einen Schreck, als er die aus dem Bunkerfenster ragenden Mündungen der Revolverkanonen erblickte.

Mit dem Gewehrkolben schlugen sie gegen die eisernen Türen, nichts rührte sich zu ihrer Erleichterung dahinter. Schnell kritzelte einer der Männer mit Kreide an die Eisentür: »5. Kp. I. R. 24.«. Unaufhörlich kamen andere die Rutschbahn nach unten gesaust, manche fluchten, weil sie sich Splitter in die Hände gerissen hatten. Pionierleutnant Voigt machte nun eine Aufnahme von der Innenseite auf die Bresche.

Da die eisernen Türen nicht nachgaben, begannen Klingenberg und andere den steilen Hang nach oben zu steigen. Wenn die Front des Forts zur Nordseite lag, mußte die Südseite, so überlegte er, mit der Kehle und den Eingängen sich auf der gegenüberliegenden Seite befinden. Über den Hang fegten die Garben vom Kirchturm des Dorfes Douaumont. Leutnant Neumann begann plötzlich zu jammern, und Klingenberg sah, daß er einen Unterleibsschuß bekommen hatte. Da er ihm nicht helfen konnte, ließ er ihn in einem Granatloch liegen und lief weiter. Plötzlich sah er vor sich eine runde braune Panzerkuppel, die gerade geräuschlos in der Erde versank, ein unheimliches Bild. Klingenberg erreichte wiederum einen Graben, in dem mehrere dunkle Eingänge gähnten, neben ihm stand Haupt mit ein paar Mann, sonst war niemand zu sehen.

Um dem Granatbeschuß zu entgehen, flüchteten sie sich notgedrungen in einen der Eingänge. Im Inneren waren französische Stimmen zu hören. Klingenberg raffte ein paar französische Brocken zusammen und rief, die Franzosen sollten sich gefangengeben, das ganze Fort sei besetzt. Als sich nichts regte, drohte er, Handgranaten zu werfen. Da sich noch immer nichts ereignete, legte Klingenberg erst einmal eine Zigarettenpause ein. Inzwischen würden sich wohl hoffentlich noch andere einfinden. Während sich alle anderen kriechend auf dem inneren Glacis fortbewegten, stand ein Musketier der 24er auf dem höchsten Punkt des Forts und schwenkte eine gelbrote Signalfahne hin und her, um den Artilleriebeobachtern ein Zeichen zu geben. Wie durch ein Wunder wurde er nicht von den französischen Kugeln getroffen.

Draußen kamen Leute gelaufen. Franzosen? Haupt und Klingenberg fiel ein Stein vom Herzen: Es waren Angehörige der 8. Kompanie, die zwei Franzosen als Gefangene bei sich hatten, angeblich die Bedienung des Panzerturms. Einem Franzosen wurde eine Taschenlampe in die Hand gedrückt, er sollte vorangehen und seine Kameraden zur Übergabe auffordern. Wenn den Deutschen etwas passierte, würden sie ihn sofort über den Haufen schießen. Die Drohung tat ihre Wirkung. Während er am Rockschoß festgehalten wurde, führte er die Deutschen in das Fort, durch dunkle Gänge, die durch Ölfunzeln an den Wänden kümmerlich erhellt wurden.

Der Weg führte Treppen hinauf und Treppen hinunter, mal ging es nach rechts, mal nach links, und bald wußten die Deutschen nicht mehr, wo sie sich eigentlich befanden. An einer Treppe angelangt, erklärte der Franzose, hier ginge es zur Küche und zu den Lazaretträumen, dort würden die anderen sein. Barsch wurde ihm erklärt, er solle sie alle schleunigst holen. »Vite! Vite!« Den paar Deutschen wurde es immer »grußlicher«, wie Klingenberg fand. Mit hocherhobenen Händen kamen zögernd rund 25 Mann nach oben. Wütend ließ Klingenberg fragen, wo die anderen seien, das könne doch unmöglich die ganze Besatzung des Forts sein! Einer der Franzosen erklärte, im Fort befänden sich nur 65 Mann, die ganze übrige Besatzung hielte sich in den Gräben vor dem Fort auf. Zuletzt tauchte der »Kommandant« auf, ein Offizier. Der eigentliche Fortkommandant, erklärte der Gefangene, sei vorne, er selber sei der Adjutant und hätte den Befehl über den Rest der Leute. Feierlich übergab er Klingenberg seinen Degen und seine Pistole und wollte auch noch seine Orden ablegen, was Klingenberg aber zurückwies: Die könne er natürlich behalten!

Der Offizier bedankte sich und gab nach einigen Fragen bereitwillig Auskunft, daß sich im Fort keine Sprengladungen Kfänden, die von außen gezündet werden könnten, es könne auch nicht unter Wasser gesetzt werden. Er versicherte mehrmals, daß die Deutschen in dieser Hinsicht völlig unbesorgt sein dürften. Trotzdem ließ ihm Klingenberg mitteilen, man werde sie als Gefangene hierbehalten : »Falls wir in die Luft fliegen, sollen Sie auch dabeisein!«

Inzwischen fanden sich Offiziere und Mannschaften der verschiedensten Kompanien ein, standen überall in den Gängen herum und wußten selber nicht, wie sie hereingekommen waren. Leutnant Voigt und andere Pioniere waren auf dem Glacis rechts an Klingenberg und Haupt vorbeigekrochen und in der halbverschütteten Westdurchfahrt gelandet. Alle trafen sich nun im Hauptgefechtsgang. Voigt machte sich als Pionier sofort daran, nach Sprengladungen zu suchen, landete aber, als er einen dunklen Steigschacht hinunterkletterte, nur mit beiden Füßen in der Zisterne. Hauptmann Haupt, der Dienstälteste, gab Klingenberg sämtliche Gefangenen zur »Aufbewahrung«, kommandierte ein paar Infanteristen unter einem Unteroffizier als Wache ab, und lief mit den anderen nach draußen, weil Alarm geschrien wurde, es käme ein Gegenangriff.

Als die Franzosen in eine Kasematte gesperrt wurden, fragte einer der Gefangenen schüchtern, ob sie sich nicht noch aus dem Kessel mit Fleischbrühe bedienen könnten, der unten auf dem Feuer stünde. »Wir brauchen es nötiger, vor allem die Verwundeten«, knurrte Klingenberg, während er die Tür verrammelte. Auch Leutnant Neumann war inzwischen hereingetragen worden, weiterhin der Musketier Hentzke, der auf dem Glacis gewartet und allen geraten hatte, die östlich abfallende Seite zu benutzen, weil sie vom MG auf dem Kirchturm nicht bestrichen werden könnte.


md11

#7
Den Grenadieren, in deren Gefechtsabschnitt das Fort eigentlich lag, ging es in der Zwischenzeit schlecht. Während Brandis auf Bloem wartete, wartete Bloem auf die Füsiliere des 8. Grenadier-Regiments. Das starke französische Artilleriefeuer, das durch die Kämpfe um das Dorf Louvemont ausgelöst wurde, hatte die Befehlsübermittlung verzögert. Die Füsiliere lagen am Südrand des Fosses-Waldes. 100 Mann Verluste kostete hier allein das Warten im Granatfeuer, nur 25 Mann der anschließende Sturm, der sie bis zum Südrand des Chauffour-Waldes brachte.

Bloem war zuerst leicht vorangekommen, so daß sich die Prognose seines Leutnants - »Heute wird ein Pour le Merite fällig, Herr Hauptmann« - zu erfüllen schien. Der erste Erfolg war dem konzentrierten Feuer einer ganzen Brigade von Feldgeschützen unter General Lotterer zu verdanken, der seine Geschütze auf eine Linie an der Straße Ornes-Beaumont am Fosses-Wald herangeführt hatte. Nun kamen ihnen gefangene Franzosen mit den Rufen »Debberitz! Debberitz!!« glückstrahlend entgegen im Gefühl, dem Tod entkommen zu sein.

Auf einmal traf sie »mörderisches« Gewehrfeuer von rechts aus dem Wald, doch der Schwung des ersten Anlaufs trug sie weiter. Der zweite französische Graben wurde genommen. Das ganze Bataillon, alle Kompanien und Züge nun durcheinander, lief über den freien Hang vor dem Dorf Douaumont, während links das Fort auftauchte. »Richtung Douaumont!« kommandierte Bloem, als sie plötzlich von Maschinengewehrfeuer überrascht wurden. Reihenweise kippten die Infanteristen um. Völlig außer Atem, wie im Rausch - »was fällt, fällt« -, wollte Bloem den Rest seiner Leute mit nach vorn reißen, als ihn ein Offizier seines Stabes, der Vernunft bewahrt hatte, zu Boden warf.

Bloem schaute sich um. Überall auf dem Hang verstreut lagen die Toten seines Bataillons, nur noch ein paar Mann lagen neben ihm und preßten sich auf den Boden. Bloem mußte umkehren. Was von seinem Bataillon übrig war, sammelte sich in einem französischen Graben, wo sie vom Dorf nicht beschossen werden konnten. Bis auf 25 m waren sie an die befohlene Haltelinie herangekommen. Nur an das Dorf hatte niemand gedacht.

In der Dunkelheit, als es ruhiger wurde, standen sie auf und ordneten sich zu Zügen. Es waren noch 350 Mann - von ehemals 900.

Vor Mitternacht kam von einer Patrouille die Hiobsbotschaft: »Die 24er sind im Fort«. Nur dank unseres Flankenschutzes, dachte Bloem neidisch.


Fast 40 Minuten war Brandis mit seiner Kompanie durch das MG-Feuer aus dem Dorf Douaumont gestoppt worden, bis ihm endlich Bloem etwas Luft verschaffte. Voller Ungeduld ließ er Flankendeckung Flankendeckung sein, lief in Richtung Fort, als ihm Verwundete entgegenkamen mit dem Ruf »Der Douaumont ist gefallen!« Doch Hauptmann Haupt sei tot. Daß er von Haupt den Befehl erhalten hatte, zurückzugehen und der Artillerie drastisch klarzumachen, wohin sie schießen müsse, hatte Brandis offensichtlich vergessen.

An der Straße traf er einen Telefontrupp, der zunächst zurückgeblieben war, weil der zugeteilte Telefondraht nur bis zur befohlenen Haltlinie gereicht hatte. Inzwischen hatte der Fernsprechunteroffizier Foth aber durch französischen Draht seine Leitung verlängert und bekam Anschluß zum Bataillonsführer von Klüfer. Brandis nahm den Hörer und mußte sich die besorgte Frage anhören, ob sie wieder »durchgebrannt« seien, dann riß die Verbindung ab.

Eine Viertelstunde später gelang es Foth, die Verbindung zum Gefechtsstand des Bataillons erneut herzustellen, am Apparat war nun der Bataillonsadjutant Leutnant Kluge. Brandis nahm Foth den Hörer aus der Hand und teilte ihm mit, daß »das Fort fest in unserer Hand« sei. Haupt sei gefallen, die Artillerie müsse unbedingt das Feuer vorverlegen, sie beschieße noch immer das Fort, statt dessen müßte der Kirchturm des Dorfes Douaumont beschossen werden. Wörtlich fügte er hinzu: »Ich gehe jetzt ins Fort.«

Es war 17.33 Uhr. Da Kluge seinen Bataillonskommandeur gerade nicht erreichen konnte, rief er sofort den Regimentsstab an und erzählte, was ihm Brandis soeben mitgeteilt hatte. Allerdings vergaß er den letzten Satz, weil er ihm im Augenblick nicht besonders wichtig erschien. Der Satz »Das Fort ist fest in unserer Hand« wurde sofort an die 6. Division weitergegeben mit dem Zusatz, daß es »fest in der Hand des Oberleutnants von Brandis« sei. Der Regimentskommandeur hielt Brandis für den Haupterstürmer des Forts. Dieser Ansicht schlossen sich alle an, die nun auf dem Befehlsweg Kenntnis von dem Fall des Forts bekamen.

Nicht so schnell sprach sich das Ereignis bei den Artilleriekommandeuren herum. Um 20 Uhr traf Brandis, der kurz im Fort gewesen und erneut von Haupt zurückgeschickt worden war, auf eine Feldbatterie, die noch immer auf das Fort schoß. Auch beim Regimentsstab, wo er um halb neun eintraf, um persönlich zu berichten, vergaß Brandis zu erzählen, daß er selber fast eine Stunde später als die ersten im Douaumont angekommen war. Das Kriegstagebuch der 12. Infanterie-Brigade, die die Aktionen gegen Dorf und Fort koordinierte, verzeichnet um 22 Uhr die Notiz: »Meldung vom I. R. 24, daß Fort Douaumont immer noch von 5. L-Div. beschossen wird. Ist aber fest in unserer Hand, gestürmt durch 7. und 8./24. durch Hauptmann Haupt und Oberleutnant von Brandis. Beide Führer ganz besonders ausgezeichnet.«

Um 20 Uhr traf nun auch der Bataillonskommandeur von Klüfer im Fort ein, der die ganze Zeit in der Erdbeerschlucht gesessen und nicht gewußt hatte, wo sein völlig durcheinandergekommenes Bataillon, vor allem die Züge Radtke und Morgenroth, steckten.Um 17 Uhr hatte bereits ein Beobachter einer Minenwerferbatterie eine weiße Fahne auf dem Fortglacis gesehen, doch niemand wollte ihm Glauben schenken. Kurz nach 17 Uhr waren vom Bataillonsgefechtsstand Telefonanrufe und Meldeläufer beim Regiment eingetroffen, um die Vorverlegung des Feuers zu erwirken; die ersten Kompanien stünden vorm Fort. Von dort aus ging diese Meldung zum Stab der 6. Infanterie-Division, dann zum General der Fußartillerie Ziethen weiter und von dort zum Mörserregiment »Weiß« - ein zeitraubender Umweg, da das Regiment Weiß der 5. Infanterie-Division unterstand, die das Fort beschoß und der Ansicht war, daß die 6. Infanterie-Division, zu der die 24er gehörten, dort nichts zu suchen hätte. Immerhin stellte das Regiment Weiß das Feuer ein - 2 Batterien 21-cmMörser, 16 Geschütze, die innerhalb dreieinhalb Stunden 1700 Schuß verfeuert hatten, auch zwei »Dicke Bertas« schwiegen, über deren einzelne Schüsse sowieso Buch geführt wurde. Doch ein anderes Haubitzenregiment mit dem Namen »Fritz« feuerte weiter.

Die Franzosen schienen keine so lange Leitung wie die Deutschen zu haben und begannen schon bald, ihr ehemaliges Fort zu beschießen. Eine vom Dorf kommende Patrouille wurde von den 24ern abgewiesen. In der Nacht verloren die 24er 30 Mann während der Wache auf der Wallkrone. Alles schimpfte auf die Artillerie, dabei hatte sie nicht »zu kurz«, sondern korrekt nach Zeitplan und Karte geschossen.


Die magische Anziehungskraft des Forts Douaumont wirkte  auch auf Leutnant von Osteroth, den Führer der 10. Kompanie. Er hatte eigentlich an der Südspitze des Hassoule-Waldes haltmachen sollen. Statt dessen sprang er mit zwei Offizieren gegen 17.55 Uhr durch eine Bresche an der Nordost-Spitze des Forts in den Graben.
Als er feststellte, daß das Fort schon von den Nachbarkompanien besetzt worden war, kehrte er pflichtbewußt um und sammelte die Versprengten, die sich außerhalb in den Trichtern versteckt hatten und keineswegs darauf erpicht waren, in das Fort einzudringen. Auf diese Weise verstärkte sich die deutsche Besatzung allmählich.

Quelle- Verdun (G.Werth)
Quelle- Reichsarchiv

Gruß
Josef

md11

#8
Bilder

Bild 1.-Hptm.Kalau v.Hose  (+ 1917),Kommandant des Forts Douaumont im Mai 1916

Bild 2.-links: Kehle des Forts (März 1916)/rechts:Nach Süden vorspringender Teil der Kaserne

Bild 3.-links:südausgang der Westdurchfahrt (März 1916)/rechts:Nordausgang der Westdurchfahrt (Oktober 1916)
Quelle-Reichsarchiv
Gruß
Josef