Hitlers Weg nach Nürnberg

Begonnen von md11, Mi, 23. Mai 2007, 23:19

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md11

Zeitzeuge Egon Fein stellt sein Leben und das Buch "Hitlers Weg nach Nürnberg" im Forum für für jüdische Kultur vor.
Schwerer LKw rammte Wagen des "Führers" (Unfall 1930 in der Wilhelm-Spaeth-Straße)

Mai 1918, der Stellungskrieg in Flandern: Im Abschnitt des Regiments von Oberst Julius List fällt ein Waldstück in die Hände der Franzosen. Die Division befiehlt den Gegenangriff für 23 Uhr. Erst eine Viertelstunde vorher kommt die Nachricht, die Franzosen seien abgezogen, deutsche Truppen bereits nachgerückt. Die feuerbereite Artillerie muss sofort verständigt werden, sonst schießt sie die eigenen Soldaten zusammen. Meldegänger werden gesucht, die zurückgehen - der Gefreite Adolf Hitler und sein Kamerad Jakob Weiß melden sich. Der Leutnant der Reserve Hugo Gutmann, ein Jude aus der Vorderen Sterngasse 3 in Nürnberg, verspricht: ,,Wenn Ihr es schafft, bekommt Ihr das EK I." Hitler und Weiß kommen durch, die Katastrophe wird verhindert.

Dennoch: Die Verleihung des Eisernen Kreuzes wird erst nach mehr als zwei Monaten genehmigt. als zu ,,alltäglich" wird der nächtliche Einsatz bezeichnet. Eine ,,Gefälligkeit" wird unterstellt, die Gutmann Hitler zukommen lassen wolle. Doch Gutmann besteht darauf; schließlich bekommen Hitler und Weiß am 4. August das EK I überreicht.

Am 23. August dann, mitten in einer erbarmungslosen Schlacht, fährt Hitler, wie seine Militärpapiere ausweisen, seelenruhig in einem so genannten ,,Diensturlaub" nach Nürnberg. Was steckt dahinter? Egon Fein vermutet, Hitler habe damals einen mehr privaten als dienstlichen ,,Befehl" ausgeführt, der womöglich nicht so ganz den Dienstvorschriften entsprach. Wer zog die Fäden? Der Oberst von Baligand, ein Nürnberger? Der Regiments-Adjutant Gutmann? Homoerotische Andeutungen. Hitler verschweigt diesen Nürnberg-Aufenthalt später durchgängig. Gegen seinen Gönner aber hetzt er in ,,Mein Kampf": ,,Wir hatten einen Juden im Regiment, Gutmann, einen Feigling sondergleichen."

Solche Aspekte, die den ,,Führer" mit Nürnberg und Franken in Verbindnung bringen, sind es, die den Journalisten Egon Fein am brennendsten interessieren. In seinem spannend geschriebenen Buch ,,Hitlers Weg nach Nürnberg" breitet er (wie berichtet) die Ergebnisse jahrelanger Spurensuche aus. Zeitzeuge Fein (74) hat eine Lücke in der Schwemme von Hitler-Literatur entdeckt: Die fränkischen Bezüge des ,,Veführers, Täuschers, Massenmörders" blieben bisher weitgehend unerforscht.

Fein, nach Kriegsende auch Lokalredakteur bei den Nürnberger-Nachrichten, stellte seinen Lebensweg und das neue Buch nun dem Moderator Leibl Rosenberg und 40 Gästen beim Forum für jüdische Geschichte und Kultur im Turmzimmer des Krakauer Hauses in Nürnberg vor. Der Autor verhehlte nicht, dass auch er als Nürnberger Bub der Faszination des NS-Jugendprogramms allzu leicht erlag, der Nachrichten-HJ im Tratzenzwinger mit der gelben Schnur an der Uniform. Am Kaulbachplatz, noch mehr später draußen am Nordring wuchs Egon beschützt auf, erlebte die Luftschutzaktionen anfangs als reines Abenteuer. Der Vater freilich, Ex-Marineoffizier und persönlicher Referent des Oberfinanzpräsidenten, beobachtete das Nazi-Treiben und besonders Julius Streichers Widerwärtigkeiten angeekelt. Als Sohn Egon nach Hause kam, stolz verkündend: ,,Der Frankenführer hat mir über die Haare gestreift", da wetterte der Vater: ,,Geh raus und wasch dir die Haare."

Doch es dauerte sehr lange, bis nach Kriegsende, bis die jungen Soldaten glaubten, welche Ungeheuerlichkeiten geschehen waren. Selbst der Anblick von 20, 30 mit Genickschüssen getöteten Männern in Sträflingskleidung, in einem Wald bei Au
schwitz 1943, hatte das Weltbild noch nicht erschüttert: ,,Wir haben's nicht geglaubt." Im französischen Lager in Kriegsgefangenschaft, wo sie Bilder aus KZs sahen, war der Schock umso größer.

Heute ist Fein überzeugt, dass jede Form von Extremismus nur in die Irre führen kann. Aufklärung ist ein gutes Gegenmittel, dazu trägt auch das Buch bei. Es schafft lokalregionale Bezüge; es räumt mit Legenden auf; es scheut auch Spekulationen nicht, etwa die abenteuerliche Version zu Hitlers Geburt, die der Kapuzinerpater Amman aus Vorarlberg ausstreute: Hitler sei gar nicht in Österreich geboren, sondern auf der bayerischen Seite des Inn, denn die hochschwangere Mutter sei dort draußen niedergekommen, auf der Suche nach ihrem Mann aus der Zollstation. Er habe einen Bericht darüber gefunden, schwor der Pater, aber der sei verschwunden...

Wie dem auch sei, Hitler, Nürnberg und Franken finden an vielen Stellen ihre Berührungspunkte, und das Ende ist blutig und zerstörerisch. Jahre zuvor, am 13. März 1930, als Hitler von einem SS-Mann im schweren Wagen vom Luitpoldhain, von der Münchener in die Wilhelm-Spaeth-Straße, in Richtung Hotel Deutscher Hof zu Streicher chauffiert wird, da hätte der Spuk rasch vorbei sein können. Doch der große Lastwagen mit Anhänger, der von rechts aus der Hallerhüttenstraße kommt, prallt zwar mit dem Kühler in voller Wucht in den Mercedes und schiebt ihn etwa 20 Meter vor sich her. Aber er kommt gerade noch zum Stehen, ehe Hitlers Wagen umkippt. Keine fünf Zeilen wert im Polizeibericht, aber der Verkehrsunfall hätte die Weltgeschichte verändern können.

Egon Fein: Hitlers Weg nach Nürnberg. Verführer, Täuscher Massenmörder. Eine Spurensuche in Franken. Verlag Nürnberger Presse, 464 Seiten, 100 Bilddokumente. 26,50 Euro.

Quelle-Nürnberger-Nachrichten (08.11.2002)

Gruß
Josef