Die McNamara Linie

Begonnen von md11, Fr, 13. April 2007, 22:39

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md11

Am 7. September 1967 gab Verteidigungsminister Robert McNamara den Plan einer perfekten Sperre südlich der EMZ bekannt. Sie sollte bis zum südlichen Ausläufer von Laos reichen, um den Ho-Chi-Minh-Pfad abzudecken. Die Sperre sollte aus Stacheldrahtstrecken, Sensoren, Minen und chemischen Waffen bestehen und in Abständen entlaubte Freie Feuerzonen als Korridore zum Angriff lassen.


Die Reaktion der Presse war positiv. Man gab der Sperre verschiedene Spitznamen wie ,,McNamaras Mauer, Streifen, McNamaras Fahrrinne,elektronischer Zaun". Schließlich setzte sich die ,,McNamara-Linie" durch. Hätten die Journalisten die merkwürdige Vorgeschichte des Projektes gekannt, sie wären wohl skeptischer gewesen.
Die abgeschiedenen Räume von Dana Hall, einer ruhigen, einsam gelegenen Privatschule für Mädchen in Wellesley, Massachusetts, waren im  Sommer 1966 der idyllische Rahmen für eine Reihe von Seminaren und Arbeitstagungen. Aber man redete nicht über das ABC für unschuldige Kinder, sondern über Tötungsmaschinen des Krieges. Es war ein außergewöhnliches Forum, das eine der wunderlichsten Diskussionen des Krieges führte.


Jason und die Argonauten


Am Seminar nahm eine Gruppe führender Wissenschaftler teil, die als ,,Jasons" bekannt waren - benannt nach Jason und den Argonauten, die in einer Sage ebenfalls in unerforschtes Land gereist waren. Sie waren auf Bitten von McNamara zusammengekommen, der damit einem Hinweis Robert Fishers von der Harvard Law School nachging. Fisher hatte den Bau einer 16 km breiten und 255 km langen Sperre vorgeschlagen, um die NVA-Infiltration zu unterbinden. Weder Admiral Sharp (Oberkommandierender Pazifik) noch General Westmoreland sahen darin eine Problemlösung, aber der Verteidigungsminister wollte der Sache nachgehen.


Nach ersten Berichten aus Dana Hall sollte der Aufbau ,,etwa ein Jahr ab Auftragserteilung" dauern. Die Sperre könne dann immer mit der jeweils neuesten Technologie verfeinert werden.


Zu den präziseren Vorschlägen zählte die Räumung eines 19 km breiten und knapp 100 km langen Gebietes, das dann flächendeckend mit kleinen tödlichen Minen bestückt werden sollte. Dazu gehörten ,,Kiesminen" - 7 cm große quadratische, in Stoff gewickelte Sprengstoffpakete. Sie detonieren beim Drauftreten oder beim Überfahren durch ein Fahrzeug mit verheerender Wirkung. Dann gab es ,,Knopfbömbchen", Geräte in der Größe einer Aspirintablette, die einerseits bei Berührung einige Zehen abreißen konnten, andererseits ein Geräusch machten, das von akustischen Sensoren aufgenommen wurde. Die Geräusche sollten dann von Patrouillenflugzeugen über dem Sperrgebiet abgehört werden. Bei den dann folgenden Luftschlägen sollte der Typ ,,Haufenbombe" eingesetzt werden, der kurz über dem Ziel kleinere Bomben in Fußballgröße ausstößt. Die Jasons errechneten für die Sperre einen jährlichen Bedarf von 240 Millionen Kiesminen, 300 Millionen Knopfbömbchen und 120000 Haufenbomben. Hinzu kamen 100 Patrouillen- und minenwerfende Flugzeuge, sowie der Apparat für die Weiterentwicklung der Technik. Die Gesamtkosten sollten sich auf rund eine Milliarde Dollar belaufen. Das Programm war ehrgeizig angelegt!


Leider war es aber nicht narrensicher: Die Minen konnten auch von Tieren ausgelöst werden, so daß Luftangriffe auf Wasserbüffel zu befürchten waren.


md11

#1
Einige Ideen waren völlig verrückt. Ein Witzbold wollte lebende Wanzen einsetzen. Die Wanze bleibt wohl ruhig, bis sich ihr ein menschlicher Körper nähert. Dann aber wird sie in Erwartung einer Mahlzeit ungeheuer aufgeregt. Der Plan war also einfach: Man klebe Elektroden an die Wanzen und verteile sie über die EMZ. Man erzählt sich, daß die Idee wirklich ausprobiert wurde. Doch auch sie funktionierte nicht; entweder gefiel es den Wanzen nicht im Dschungel oder der Klebstoff schmolz.

Eine andere Idee war die Dressur von Tauben mit Sprengstoff, die auf feindlichen Lastwagen landen und dabei explodieren sollten. Aber es wurde schnell deutlich, daß keine Taube den Unterschied zwischen einem kommunistischen und einem demokratischen LKW kapieren würde.

Dann dachte man, ein Abhörgerät als einen Haufen Hundedreck tarnen zu können. Ein Luftaufklärungskommandeur machte jedoch - nicht eben zurückhaltend - klar, daß zwar Bären in die Wälder scheißen, es aber noch keinen Hinweis gegeben habe, daß Hunde dies im Dschungel von Vietnam getan hätten.

Einige der Abhörgeräte waren jedoch so gut, daß man Unterhaltungen in der Kampfzone mithören konnte. Ein Mitschnitt wurde im Jahre 1970 vor einem Unterausschuß des Kongresses abgespielt. Es waren deutlich die vietnamesischen Stimmen zu hören, dann Axthiebe beim Fällen eines Baumes, in dem das Gerät saß. Die Aufnahme endete mit gewaltigem Krach und Schreien, als der Baum auf den Mann fiel.

Die Geräte verbesserten eindeutig die Möglichkeiten akustischer Sperren. Es kamen neue Munitionstypen hinzu - beispielsweise weiträumig wirkende Schützensplitterminen und die ,,Gänseblümchenschnitter", die ernorme Zerstörungen über riesige Geländeabschnitte hervorrufen konnten. Sie wurden in Florida und in Vietnam im Jahre 1967 erfolgreich getestet. Inzwischen war ein 15 km langer Streifen von der Küste in das Landesinnere, südlich der EMZ, gesäubert worden - die 500 Meter breite Trasse.

Leider wurde bald offensichtlich, daß die Konvois der NVA auch weiterhin an den Flanken der Sperre - zur See im Osten, durch Laos im Westen - passieren konnten. Zur selben Zeit wurde der eigentliche Aufbau der Sperre unter feindlichem Mörser-, Artillerie- und Raketenfeuer extrem schwierig. Erfahrene Kommandeure betrachteten das Ganze als unsinniges High-TechExperiment, das nur die traditionelle Feldschlacht verhindere - die einzige Möglichkeit, den Krieg zu gewinnen. Anfang des Jahres 1968 funktionierten laut Pentagon Teile der Linie. Aber die Presse begann an der Effizienz zu zweifeln. Als es dann der NVA gelang, um Khe Sanh südlich der Sperre aufzumarschieren, war die ganze Angelegenheit vollends diskreditiert.

Gruß
Josef