Arbeitslager Radolfzell

Begonnen von md11, So, 21. Januar 2007, 18:06

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md11

In der 1937 für das III. Btl. der SS Division Germania fertiggestellten Kaserne war im Februar 1941 die SS-Unterführerschule Radolfzell (Landkreis Konstanz) eingerichtet worden. Zum Bau eines Großkaliberschießstandes brachte am19. Mai 1941  ein Eisenbahntransport  113 Häftlinge aus dem KZ Dachau. Sie wurden in einem aus zwei Räumen bestehenden Pferdestall untergebracht. Die Männer schliefen in doppelstöckigen Betten, die in den ehemaligen Pferdekojen standen. In der Nacht waren sie in dem Stall eingesperrt. Unterbringung und Verpflegung sollen verhältnismäßig gut gewesen sein. Die Lagerkost kam aus der Kasernenküche. Die Häftlinge waren vorwiegend Deutsche, Polen und Tschechen. Die farbigen Stoffdreiecke wiesen sie als «Politische Schutzhäftlinge», «Kriminelle und Berufsverbrecher» sowie «Emigranten» aus.
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Der Kommandant des Dachauer Außenlagers in Radolfzell unterstand der Leitung der SS-Kaserne. Kommandoführer waren: SS-Hauptscharführer Josef Seuß (1906-1946) von Mai 1941 bis August 1942 und SS-Oberscharführer Hermann Rostek (1898-1970) von Dezember 1943 bis Januar 1945. Für die Zeit dazwischen gibt es Hinweise auf einen SS-Unter- oder SS-Oberscharführer namens Schmidt bzw. Schmid oder Schmitt sowie auf SS-Scharführer Hugo Lausterer.
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Beim Bau des Schießstandes im Walddistrikt «Alter Bohl», der etwa drei Kilometer von der Kaserne entfernt lag, waren ungefähr 90 Häftlinge eingesetzt, andere arbeiteten auf dem Exerzierplatz, im Freibad «Herzen», wo eine Truppenschwimmanstalt mit Wasserübungsplatz eingerichtet war, sowie im Kasernenbereich (z. B. als Friseur, Schuster, Schneider, Elektriker oder im Zahnlabor). Gelegentlich kam es zu Arbeitseinsätzen bei Bauern in der näheren Umgebung. Bei den Radolfzeller Industriebetrieben wurde keine Zwangsarbeit verrichtet. Ab und zu beauftragten SS-Angehörige aus der Kaserne privat Häftlinge außerhalb deren Arbeitszeit sonntags mit Garten- und Hausarbeiten.
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Nachdem der Schießstand fertig gestellt war, wurden 72 Mann im Juli/ August 1942 wieder nach Dachau zurückgebracht. Die übrigen standen weiterhin für kaserneninterne Belange zur Verfügung. Als skurril ist die Aufgabe des zeichnerisch begabten Häftlings Leo Oesterle anzusehen, der Wandflächen in der Kaserne mit Bildern heroischer SS-Männer zu verzieren hatte, denn die Radolfzeller Heinrich-Koeppen-Kaserne wollte sich an einem Wettbewerb um die schönste Kaserne im Reich beteiligen.
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Eine kleine Wachmannschaft aus Dachau beaufsichtigte die Häftlinge bei der Arbeit am Schießplatz. Die täglich wechselnde Kasernenwache der Unterführerschule übernahm die Aufsicht über das Arbeitskommando im Kasernen bereich. Der Lagerbereich im Pferdestall war nicht speziell mit Zäunen gesichert. Es ist überliefert, dass ein Häftling, der als Elektriker in der Kaserne arbeitete, teilweise auch ohne Bewachung im zwei Kilometer entfernten Stadtzentrum bei Handwerkern das von ihm benötigte Material besorgte.
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Die letzten 19 Häftlinge verließen am 1 6. Januar 1945 Radolfzell in Richtung Dachau. Nachdem der Zug im Allgäu unter Tieffliegerbeschuss geraten war, wurde der Transport nach  Leonberg in das dortige, dem KZ - Natzweiler unterstellte Außenlager umgeleitet. Drei oder vier Häftlingen soll auf diesem Transport die Flucht geglückt sein. Darunter befand sich der Vater eines Kindes, das die Ehefrau eines auf dem Schießplatz wohnenden SS-Oberscharführers Mitte März 1945 zur Welt brachte.
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Auch von Radolfzell aus waren schon Häftlinge geflohen. Am 15.November 1943 entkamen zwei mit einem auf dem Wasserübungsplatz entwendeten Boot über den Bodensee in die nahe Schweiz. Zu einem Fluchtversuch von drei Tschechen wird berichtet, einer sei erschossen in die Kaserne zurückgebracht worden, ein anderer wieder eingefangen und der dritte tot aufgefunden worden. Zweifelsfrei steht für das Lager Radolfzell ein Todesfall fest. Am 11. November 1941 wurde auf dem im Bau befindlichen Schießstand ein Häftling «auf der Flucht» erschossen.
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Diese Erschießung war der Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen in Ludwigsburg, die 1967 bis  1976 ermittelte und 1978 das Verfahren einstelle, nicht bekannt.
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Französische Truppen nutzten die ehemalige SS-Kaserne bis 1977 als Garnison. Ab 1989 wurde das Areal zum Radolfzeller «lndustriegebiet Nord» ausgebaut. Der alte Pferdestall, in dem die KZ-Häftlinge untergebracht waren, ist abgetragen. Der von ihnen erbaute, bis 1977 genutzte Schießstand ist im überwucherten Gelände noch zu erkennen.
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Gruß
Josef