Experten erforschen vergessenes Lager

Begonnen von Hubert, So, 22. März 2015, 14:41

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Hubert

Am Freitag 13.März 2015 in der MZ gefunden , ein recht Interessanter Artikel.

Grüße
Hubert

Wo die Jugendherberge steht, wohnten am Ende des 1. Weltkriegs 4700 Kriegsgefangene. Fotos aus einer Plastiktüte beweisen es.

Regensburg    .Kaum zu glauben, dass ein Lager, das Tausende von Kriegsgefangenen beherbergte und ganz nahe bei der Stadt lag, einfach in Vergessenheit geriet. Doch das ist tatsächlich geschehen, und es ist nur einem glücklichen Zufall zu verdanken, dass wir heute davon Kenntnis haben. Im Ersten Weltkrieg befand sich am Unteren Wöhrd, in etwa dort, wo heute die Jugendherberge steht, ein Gefangenenlager, in dem gegen Ende des Krieges zirka 4700 Kriegsgefangene, überwiegend Franzosen, untergebracht waren.

Seine nachträgliche Entdeckung ist dem blanken Zufall zu verdanken. Prof. Dr. Isabella von Treskow von der Uni Regensburg und Dr. Bernhard Lübbers, der Leiter der Staatlichen Bibliothek Regensburg, berichteten darüber in einer Veranstaltung gemeinsam mit dem Historischen Verein für Oberpfalz und Regensburg. Alles begann als Reinhard Hanausch eines Tages im Müll zwei gefüllte Plastiktüten fand. In der ersten eine Sammlung von alten Zeitungen in französischer Sprache, in der zweiten alte Einladungskarten, Theaterprogrammen und Weihnachtskarten. ,,Eine wilde Geschichte", sagt Dr. Lübbers heute noch.
Lange auf der Suche

Der Inhalt war für Historiker höchst wertvoll. Die Tüten enthielten die weltweit einzige vollständige Ausgabe der Lagerzeitung ,,Le Pour et le Contre", was so viel heißt wie ,,Das Für und Wider". Sie stammt aus der Zeit zwischen Juli 1916 und April 1917. Nun hatte man die Zeitung, aber wo war das Lager gewesen? Kein Mensch in Regensburg erinnerte sich mehr. ,,Selbst Experten wussten nichts davon", berichtete Dr. Lübbers und vermutete, dass die Schrecken des Zweiten Weltkriegs wohl alles überlagert hatten. Die Forschungsarbeit begann.

In der Lagerzeitung war teilweise das Tagebuch eines französischen Kriegsgefangenen abgedruckt. Doktorand Dominik Bohmann studierte dieses Tagebuch. Einer der Einträge schildert den Weg eines Gefangenenzuges: ,,Wir gelangen zur Stadtmitte. Plötzlich, an einer Straßenecke erscheint uns eine Kathedrale, deren phantastische Linien sich in der Finsternis verlieren. Dann gehen wir einige dunkle Straßen entlang und vor uns zeichnet sich bald ein mittelalterlicher Glockenturm als Schattenriss ab. Wir durchqueren einen in altes Mauerwerk geschlagenen Durchgang, aber anstatt der Zugbrücke, die man vor solcher Kulisse erwartet, erscheint eine große steinerne Brücke."
Blick auf die königliche Villa

Die Gefangenen bewegten sich also ans jenseitige Donauufer. Weitere Aufzeichnungen in dem Tagebuch wiesen immer wieder darauf hin, dass der Blick vom Lager aus auf die Königliche Villa gefallen war. Bohmann untersuchte die Gegend, bildete sich eine Meinung, wo das Lager eventuell gewesen sein könnte und fand schließlich im Archiv der Denkmalpflege die Bestätigung. Die Zeitung, mit deren Auswertung die Wissenschaftler im Moment noch beschäftigt sind, gibt tiefe Einblicke in das Leben in diesem Lager.

Wer arbeiten durfte, hatte Glück, auch wenn es da um Arbeiten ging, die vermutlich sonst niemand machen wollte. Wer keine Arbeit hatte, musste die Zeit irgendwie rumbringen. Die ,,Stacheldrahtkrankheit", heute Depression genannt, machte sich breit, berichtete Dr. Lübbers. Abwechslung bot das kulturelle Leben im Lager. Die wöchentliche Zeitung war sehr sorgfältig gemacht. In ihr wurde das gesellschaftliche Leben kritisch beleuchtet und Nachrichten wurden vermeldet.

Die Gefangenen spielten Theater. Dazu hatten sie im Lager ein Theater zur Verfügung, so groß wie heute das Velodrom. Es gab ein Orchester, einen Gefangenenchor und regelmäßige Konzerte. Auch eine eigene Kirche entstand im Lager. Zunächst waren die Häftlinge zu Feldgottesdiensten in die Cäcilienkirche gebracht worden. Diese Spur zu den französischen Häftlingen findet sich in der Augustiner Chronik der Pfarrei, wie die Referrnten vorstellten. Die Chronik berichtet, dass sich eine große gaffende Menge eingefunden habe, wenn die Gefangenen zur Kirche gebracht wurden. Später bekamen sie ihre Kirche im Lager. Und auch Sport konnten sie hier betreiben.
Theater, Zeitung, Sport

Was die Referenten berichteten, deckt sich nicht unbedingt mit dem Bild, das sich automatisch einstellt, wenn das Wort ,,Gefangenenlager" fällt. Man denkt an ausgemergelte, verzweifelte Menschen, dem Tod näher als dem Leben. An Theater, Zeitung, Sport, und Gottesdienste denkt man erst einmal nicht. Auch eine Besucherin der Veranstaltung gab ihrer Verwunderung darüber Ausdruck. Die Referenten wiesen in ihrer Antwort auf den Unterschied zwischen den beiden Weltkriegen hin. Im Ersten Weltkrieg wurde großer Wert darauf gelegt, die in der Haager Konvention festgeschriebenen Bestimmungen zur Behandlung von Kriegsgefangenen einzuhalten. Da habe es einen regelrechten Wettbewerb gegeben, wer die Haager Lagerethik besser einhalte, berichtete Dr. Lübbers.

Dabei dachte man auch an die eigenen Leute, die in anderen Ländern in Gefangenschaft waren. Ich behandle deine Leute gut, dann behandelst du meine Leute gut, war in etwa das Motto. ,,Ich war auch erstaunt, was im Ersten Weltkrieg als Grundkonsens noch galt", bekannte Professorin von Treskow. Im Zweiten Weltkrieg sei das völlig anders gewesen. Und eine Örtlichkeit wie das Lager am Unteren Wöhrd geriet darüber offensichtlich in Vergessenheit.



Lagerzeitung

    Entstehung:

    38 Ausgaben der Zeitung ,,Le Pour et le Contre" entstanden vom Juli 1916 bis zum April 1917 in dem Lager am Unteren Wöhrd.
    Auswertung:

    Ein Teil der Lagerzeitung der französischen Kriegsgefangenen ist ausgewertet. Die Aufarbeitung dieses historischen Dokuments ist aber noch lange nicht   beendet.

MORTUI VIVENTES OBLIGANT "Die Toten verpflichten die Lebenden"

md11

Hallo Hubert,
da hast Du wieder einen Interessanten Artikel ausgegraben wie ich sehe.Ein Großes Highlight für die Stadt Regensburg.

Gruß
Josef