Rundfunkrede des Außenministers Baudouin Paul,4.Juli 1940

Begonnen von md11, Do, 07. Februar 2008, 21:04

Vorheriges Thema - Nächstes Thema

0 Mitglieder und 1 Gast betrachten dieses Thema.

md11

In dem Augenblick, wo Großbritannien auf unsere im Hafen von Mers-el-Kebir vor Anker liegenden Schiffe einen Überfall verübt hat, der auf der englischen Ehre ein unauslöschlicher Fleck bleiben wird, scheint ein kurzer Rückblick auf die Geschichte unserer Beziehungen zu unserem bisherigen Alliierten seit dem Ausbruch der Feindseligkeiten unerläßlich. Wir sind in den Krieg gegen Deutschland im Kielwasser Englands eingetreten, das den Krieg als erstes Land erklärt hat. Wir haben sofort alle 20 bis 47 Jahre alten Männer mobilisiert, das heißt drei Millionen, und dadurch fast unser ganzes Wirtschaftsleben unterbrochen.

Sobald die feindliche Offensive an unserer Front begonnen hatte und wir das erdrückende Gewicht der deutschen Streitkräfte ermessen konnten, richteten wir unablässig an unsere Verbündeten die dringendsten Alarmrufe und forderten Verstärkungen an, vor allem Flugzeuge. Wir haben feststellen müssen, daß Großbritannien vorzüglich darum besorgt war, das Maximum seines Kriegsmaterials für die Verteidigung seines eigenen Gebietes aufzubewahren, und für die Verteidigung des französischen Bodens niemals einen wesentlichen Teil seiner Kräfte hat opfern wollen.

Nach dem Desaster an der Maas hat General Weygand am zweiten Tage seines Oberkommandos von der englischen Armee gefordert, gemeinsam mit unserer Nordarmee und der belgischen Armee an einer Offensive nach Südwesten teilzunehmen, um die Umfassung der deutschen Armeen zu brechen und die Verbindung mit unseren Südarmeen herzustellen.

Nachdem die englische Armee grundsätzlich zugestimmt hatte, zögerte sie und zog sich dann auf die Nordhäfen zurück, um sich einzuschiffen.

Unsere Kriegsmarine, dieselbe Marine, die von der englischen Flotte mittlerweile unter Bedingungen angegriffen worden ist, die bekannt sind, nahm an der Seite der englischen Marine an dieser Operation teil, mit einer Tapferkeit, die die Bewunderung der Welt erregt hat, und opferte dabei eine große Anzahl ihrer besten leichten Einheiten.

Seitdem hielten wir den Stoß eines an Truppen und Waffen erdrückend überlegenen Feindes allein aus. Unser Land wurde verwüstet, ein Viertel unserer Bevölkerung irrte heimatlos geworden unstet auf unseren Landstraßen umher. Als uns kein Mittel mehr blieb, dem Eindringling zu widerstehen, und wir keine intakte Armee mehr hatten, mußte unsere Regierung um Waffenstillstand nachsuchen.

Dieser schwächte die Widerstandsmittel Englands nicht, weil es seine letzten Truppen von unserem Gebiet zurückgezogen hatte.

Seit dem Waffenstillstand haben die Prüfungen für das französische Volk nicht aufgehört. Nachdem es seit Beginn der Offensive für die gemeinsame Sache der beiden Völker fast allein gekämpft hat, erträgt es nun auch noch die unaufhörlichen Bombenangriffe der britischen Luftwaffe auf seine Häfen. Indessen, wie groß waren erst seine Bestürzung und seine Empörung, als es erfuhr, daß die britische Marine mit ihrer langen Ehrentradition die gemäß den Waffenstillstandsklauseln in dem Hafen von Mers-el-Kebir versammelten französischen Schiffe durch Minen blockiert und keine Bedenken getragen hat, auf ihre Waffengefährten von gestern, die zu wirksamer Verteidigung nicht imstande waren, das Feuer zu eröffnen.

Diese Tatsachen müssen den Kurs unserer Politik unweigerlich stark beeinflussen. Unsere Beziehungen zu England gehen auf eine neue Ebene über. Wir haben uns traurigen Herzens gezwungen gesehen, die diplomatischen Beziehungen zu einem Lande abzubrechen, das für das Blut unserer Seeleute verantwortlich ist.
Quelle:Aus einer Zeitschrift von 1969 (unbekannt)

Bild:Frankreichs Außenminister Paul Baudouin

mfg
Josef