Die Zeittafel des Vietnamkrieges

Begonnen von BlackWolf, Mi, 21. Juni 2006, 13:43

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BlackWolf

Zeittafel

    * 1945 Im Zuge der militärischen Niederlage Japans im Zweiten Weltkrieg übernehmen die Viet Minh als Folge der Augustrevolution die Macht in Vietnam. HÓ Chí Minh ruft am 2. September in Hanoi die unabhängige Demokratische Republik Vietnam aus. Britische Truppen landen in Saigon, um mit der Entwaffnung der Japaner zu beginnen. Aus dem gleichen Grund besetzen vorübergehend chinesische Truppen Vietnam bis zum 16. Breitengrad.
    * 1946 In Vietnam werden von Frankreich zwei ,,Hochkommissare" - Georges Thierry d'Argenlieu in Hanoi im Norden und Robert Cedile in Saigon im Süden - eingesetzt, um die Kolonialherrschaft zu restaurieren. Mit der Beschießung Haiphongs durch französische Schiffsartillerie beginnt der Indochinakrieg
    * 1950 Während die Demokratische Republik Vietnam von der Sowjetunion und China anerkannt wird, unterstützen die USA und Großbritannien den von Frankreich geschaffenen Etat Vietnam. Ex-Kaiser Bao Dai wird als Präsident der späteren Republik Vietnam (,,Südvietnam") eingesetzt.
    * 1954 In Genf wird auf der Indochina-Konferenz ein Abkommen unterzeichnet, dem zufolge die Kriegsparteien ,,umgruppiert" (voneinander getrennt) werden. Den Viet Minh wird der Teil Vietnams nördlich des 17. Breitengrades zugewiesen. Staatsoberhaupt des Südens bleibt formell Kaiser Bao Dai, der jedoch nach Paris geht. Auch sieht das Abkommen freie Wahlen vor. Die USA unterzeichnen das Abkommen nicht, erklärten aber es ,,zu respektieren".
    * 1955 Ngô ình DiÇm erklärt Südvietnam zur Republik und wird Präsident. Die amerikanische Regierung beginnt Südvietnam militärisch zu unterstützen. (350 Offiziere für die Ausbildung und Organisation der südvietnamesischen Armee). Sowohl die Grenze nach Norden wird geschlossen wie auch der Telefon- und Postverkehr mit dem Nordteil Vietnams unterbunden.
    * 1956 Um den vorausgesagten Wahlsieg der Viet Minh zu verhindern, unterbindet der südvietnamesische Präsident Ngô ình DiÇm die gesamtvietnamesischen Wahlen. Die letzten französischen Soldaten verlassen das Land. Ngô ình DiÇm startet die To-Cong-Kampagne (,,Denunziert die Kommunisten!") und lässt zahlreiche echte oder vermeintliche Gegner verhaften.
    * 1958 Sporadische erste bewaffnete Aktionen meistens von Angehörigen der im zentralen Hochland lebenden ethnischen Minderheiten, die sog. Montagnards.
    * 1959 Ngô ình DiÇm erlässt einen Beschluss, welcher die Einsetzung mobiler Sondergerichte anordnet. Erster organisierter bewaffneter Widerstand und Anschläge auf Vertreter der südvietnamischen Verwaltung.
    * 1960 In Südvietnam bildet sich die Guerillaorganisation Front National de Libération (von den Amerikanern als ,,Vietcong" bezeichnet).
    * 1962 Die Zahl amerikanischer Militärberater wird von 700 auf 16.000 vervielfacht. Einsatz von Napalm.
    * 1963 Buddhistenkrise. Kennedy will 1.000 Berater wieder abziehen. Ermordung DiÇms. Ermordung John F. Kennedys.
    * 1964 Nach dem Tonking-Zwischenfall beschließt der US-Kongress Präsident Lyndon B. Johnson freie Hand bei Militäreinsätzen in Vietnam zu gewähren.
    * 1965 Die Operation Rolling Thunder bildet mit schweren Bombardements in Nordvietnam den Auftakt des Vietnamkrieges. Bis zum Jahresende werden in Südvietnam 200.000 US-Soldaten stationiert.
    * 1966 Im Laufe des Jahres wird das amerikanische Truppenkontingent in Südvietnam auf 400.000 Soldaten erweitert. Der Massenprediger Billy Graham veranstaltet Truppenbesuche und Großveranstaltungen, so genannte Crusades (engl. für Kreuzzüge) zu Weihnachten 1966 und in den Folgejahren.
    * 1967 Mittlerweile werden in den USA zunehmend Proteste gegen den Krieg registriert. Der Truppenaufmarsch wird jedoch fortgesetzt, so dass sich zum Jahresende 500.000 US-Soldaten in Vietnam befinden.
    * 1968 Wendepunkt des Krieges: Während der Tet-Offensive von FNL und regulären nordvietnamischen Verbänden geraten amerikanische und südvietnamesische Truppen anfangs in Bedrängnis. Immer mehr US-Bürger lehnen den Vietnamkrieg ab. Präsident Johnson stoppt die Bombardierungen, während in Paris erste Friedensgespräche geführt werden. In dem Dorf My Lai verüben US-Truppen ein Massaker an der Zivilbevölkerung.
    * 1969 Richard Nixon wird neuer Präsident der USA. Unter dem Stichwort Vietnamisierung will Nixon die US-Truppen nach und nach aus Vietnam abziehen. Beginn von Operation Menu
    * 1971 Die südvietnamesische Armee marschiert mit Unterstützung der US Air Force in Laos ein. Die Operation scheitert.
    * 1972 Die nordvietnamesische Armee überschreitet die Demarkationslinie entlang des 17. Breitengrades und besetzt kurzzeitig die südvietnamesische Provinz Quang Tri (,,Osteroffensive"). Die US-Luftwaffe verschärft erneut ihre Bombardierungen in Nordvietnam (,,Weihnachtsbombardement").
    * 1973 In Paris wird das Waffenstillstands-Abkommen geschlossen und markiert den Austritt der USA aus dem Vietnamkrieg. Bis März 1973 verlassen die amerikanischen Truppen das Land.
    * 1974 Der US-Kongress streicht die Militärhilfen für die Republik Vietnam zusammen. Die War Powers Resolution wird beschlossen. Die Watergate-Affäre führt zum Rücktritt von Präsident Nixon im August 1974.
    * 1975 Mit der Einnahme Saigons am 30. April durch nordvietnamesische und FNL-Truppen findet der Vietnamkrieg sein Ende. Die Republik Vietnam hört auf zu existieren.
    * 1976 Am 2. September 1976 wird Vietnam als Sozialistische Republik Vietnam wieder vereinigt.

QUELLE: WIKIPEDIA

md11

#1
Viet-Nam macht Frankreich Sorgen
Die Matrosen dreier französischer Flugzeugträger und zweier Kreuzer mußten ihren Weihnachtsurlaub abbrechen und nach Toulon auf ihre Schiffe zurückkehren. Die Franzosen wollen ein Indochina-Geschwader zusammensteilen, das in die Kämpfe mit den Viet-Nam-Truppen eingreifen soll, gemeinsam mit einem größeren Truppenkontingent, das sich auf dem 43. 500-Tonner ,,Ile de France" in Toulon einschifft.

,,Wir werden die Ordnung in Indochina wieder herstellen", sagte General Leclerc, der mit einem ,,Sonderauftrag" nach Saigon geschickt wurde. Er steht vor seiner Abreise in die Kampfgebiete im Nordosten Chinas, nach Viet-Nam.

Die Unruhen haben ihre Ursache in der unklaren Stellung des Teilstaates Viet-Nam. Im November 1940 versuchte Dr. Ho Chi Minh (,,der das Licht bringt") einen Aufstand und rief für das Gebiet von Tonking und Annam den selbständigen Staat Viet-Nam aus, zu dessen Präsidenten er sich machte. Er war in Moskau propagandistisch ausgebildet worden, und es werden ihm kommunatlsche Tendenzen nachgesagt.

Die Kriegsläufte brachten die Japaner ins Land, denen Dr. Ho Chi Minh wegen seiner Moskauer Beziehungen nicht geheuer war und die ihm darum einen anamitischen Prinzen entgegenstellten, der schon 1905 durch Unabhängigkeitsbestrebungen von sieh reden gemacht hatte. Mit den Japanern verschwand auch der Prinz, und Dr. Ho Chi Minh proklamierte am 9: März 1945 noch einmal die Unabhängigkeit Viet-Nams und nannte sich jetzt stolz Ngnyen Tat Than (,,der am Ende Erfolgreiche"). Diesmal klappte es besser.

Der bisherige Kaiser von Annam verzichtete auf seinen Thron und bekannte sich zu Dr. Ho Chi Minhs neuem Staat. ,,Ich ziehe es vor, einfacher Bürger eines freien Landes zu sein, als gesalbter Herrscher eines unfreien", sagte Seine Majestät. Die Franzosen aber glaubten, ihn und seine Frau bewegen zu können, sich von Viet-Nam loszusagen.

Die Exkaiserin, die wie ihr Gatte in Paris erzogen war, wurde überredet, einige französische Offiziere zu empfangen. Diese Offiziere sollten versuchen, eine provisorische annamitische Regierung zu bilden. Die Franzosen wurden beim Tee der Kaiserin vorgestellt. Bevor sie aber die Möglichkeit hatten, ihre Vorschläge zu unterbreiten, setzte sich die Kaiserin ans Klavier und spielte die Nationalhymne von Viet-Nam. Die Annamiten standen alle auf und sangen die Hymne mit, und die französischen Offiziere mußten gezwungenermaßen auch Haltung annehmen. Anschließend flüsterte die Kaiserin den Franzosen zu, daB sie damit bereits die Antwort auf die beabsichtigten Vorschläge gegeben habe und es unnötig sei, sie noch zu machen.

Die frisch gewonnene Unabhängigkeit wurde zunächst einmal mit einem Massaker unter den französischen Beamten und ihren Familien gefeiert.

Dr. Ho Chi Minh sah aber bald ein, daß er sich irgendwo anlehnen mußte, und begann nunrnehr seine Sympathie für Frankreich bei jeder passenden Gelegenheit zum Ausdruck zu bringen. Die Franzosen machten gute Miene zum bösen Spiel und erkannten seine Regierung an. 1945 reiste Dr. Ho Chi Minh nach Paris und verhandelte in Fontainebleau. Es kam aber zu keiner Einigung über die Frage, wie Viet-Nam neben den anderen Bundesstaaten - Kambodscha, Laos und Cochinchina - der indonesischen Union eingegliedert werden soll.

Die Zuständigkeiten zwischen der Viet-Nam-Regierung und den französischen Indochina-Behörden sind bisher nicht genau abgegrenzt worden. Die Kämpfe entbrannten daher um die Frage, ob Cochinchina - das sich inzwischen unter Protest von Viet-Nam eine von Frankreich anerkannte Regierung gab -- in VietNam eingegliedert werden soll. Ein weiterer Streitpunkt ist, daß die Franzosen den Chinesen die freie Benutzung des Hafens von Haiphong versprochen haben; die Viet-Nam-Regierung will aber Zölle und Gebühren erheben.

In Haiphong wurde dann am 20. November zum ersten Male geschossen. Als ein französisches Motorboot eine chinesische Dschunke kontrail_eren wallte, beschossen Viet-Nam-Truppen das Boot. Französische Landverbände griffen ein, und es entwickelten sich heftige Gefechte auf den Kais und in den Straßen. Viet-Nam-Artillerie beschoß den Hafen und den französischen Kreuzer ,,Suffren".

Die Kämpfe griffen um sich, und die französische Presse spricht von einem regelrechten Kolonialkrieg. Die 89. 000  französischen Soldaten, die augenblicklich in Indochina stationiert sind, stehen in hartnäckigen Kämpfen mit irregulären und regulären Viet-Nam-Truppen.

Der französische Kolonialminister, der Sozialist Marius Moutet, hat sich an Ort und Stelle begeben. ,,Von einem freien Uebereinkommen mit der Viet-Nam-Regierung kann jetzt nicht mehr die Rede sein", sagte er in Saigon, ,,nach den vorgekommenen Ausschreitungen ist das nicht mehr möglich."

Admiral Thierry d'Argenlieu, der Hohe Kommissar für Indochina, sagte, seine Regierung sei fast entschlossen, ,,die mit Viet-Nam abgeschlossenen Verträge durchzusetzen". Man wolle Viet-Nam Autonomie geben, aber nicht ohne Bedingungen.

Dr. Ho Chi Minh ist mit der Regierung aus seiner Hauptstadt Hanoi nach Padong, 13 km südwestlicher, übergesiedelt. In einigen Fällen ist er von den bisherigen Vorgängen abgerückt und hat dafür Extremisten verantwortlich gemacht. Die Franzosen behaupten, auf seiner Seite sollten auch Japaner kämpfen.

Leon Blums Regierung hat ihre Haltung Viet-Nam gegenüber versteift. Sie will nicht eher wieder mit Dr. Ho Chi Minh sprechen, ehe die Ordnung wiederhergestellt ist. Die französischen Kommunisten jedoch sind dagegen. Sie wollen, daß sofort Verhandlungen mit Viet-Nam aufgenommen werden.
Quelle-Der Spiegel (4.1.1947)

Gruß
Josef

md11

Ho Chi Minh,der den engültigen sieg seiner Sache-die Vereinigung ganz Vietnams unter kommunistischer Herrschaft im Mai 1975-nicht mehr erlebt hat,war diesem Ziel schon einmal,vor 30 Jahren,zum Greifen nahe,nach der Kapitulation Japans im September 1945.Es schien nur noch einer energischen Terroraktion zu bedürfen,um das Land von den verhaßten Kolonialherren zu befreien.

Auf den Abzug der Japaner, die ganz Vietnam, Laos und Kambodscha besetzt gehalten hatten, ist Ho Chi Minh gut vorbereitet: schon Anfang 1941 hat er sich in den Höhlen von Pac Bao, inmitten eines unwegsamen Berggeländes an der Grenze zwischen Tonking und Südchina, ein Hauptquartier eingerichtet, von dem aus er, zusammen mit Vo Nguyen Giap, eine Guerilla-Armee aufzubauen beginnt, die ,,Armee für die Rettung des Vaterlandes", als bewaffneter Teil der allumfassenden Befreiungsorganisation ,,Viet Nam Doc Lap Dong Minh Hoi", abgekürzt ,,Vietminh", was soviel wie ,,Erleuchtung" oder ,,Befreiung" für Vietnam heißt.

Wertvollste Helfer Ho Chi Minhs beim Aufbau seiner Armee sind die Amerikaner. Man hilft sich gegenseitig: die Vietminh melden den Amerikanern jede Truppenbewegung der Japaner, bringen abgestürzte amerikanische Piloten in Sicherheit, die Amerikaner revanchieren sich mit Waffen und Gerät, für Hos Hauptquartier beispielsweise stiften sie eine moderne Funkausrüstung.

So vollzieht sich der Aufbau von Hos Armee sehr zügig und erfolgreich, woraus sich eine merkwürdige Schwierigkeit ergibt:

Einzelne Guerilla-Verbände im Bergland von Tonking sind so kampflustig, daß sie nicht nur warten und üben mögen, sondern gegen die japanische Besatzungsmacht losschlagen. Das ist gar nicht im Sinne Ho Chi Minhs, mit aller Härte pfeift er die Übermütigen zurück, aber er spürt, daß er eine langsam wachsende Armee nicht völlig tatenlos herwarten lassen kann.

So wandelt er die ,,Armee zur Rettung des Vaterlandes,, in eine ,,Armee für Propaganda und Befreiung" um. Die aktivsten und gebildetsten Angehörigen der Armee werden in speziellen Brigaden zusammengezogen, und dann ins Land geschickt, auf die Dörfer. Hos Ziel ist es, sich eine breite Basis im Volk zu verschaffen; seine Propaganda Soldaten halten Schulungskurse ab, überall werden ,,Komitees zur Rettung des Vaterlandes" gegründet. Die Propaganda ist klar nationalistisch, Ho will alle nationalistischen Elemente an sich binden, gleichwohl liegt ', die Führung des Komitees stets bei den Kommunisten, Gegner des Kommunismus werden durch ruppigen Terror eingeschüchtert und zum Schweigen gebracht. Es dauerte nicht lange, und die Macht des Vietminh war in ganz Vietnam allgegenwärtig, wenn auch noch verborgen.

Denn Ho blieb in Dauerstellung. Mit den Japanern wollte er sich nicht anlegen, erstens waren sie zu stark, zweitens würden sie den Krieg sowieso verlieren und verschwinden. Ho scheint auch geahnt zu haben, daß die Japaner das Problem der Franzosen im Land für ihn erledigen würden, was sie dann auch taten, indem sie, am 9. März 1945, die französischen Garnisonen und die Kolonialverwaltung mit einem Schlag praktisch vernichteten und die übrige französische Bevölkerung einem wüsten Terror unterwarfen.

Der Vietminh terrorisierte zwar ein weni mit, aber Ho hielt die Zeit zum Zuschlage noch immer nicht für gekommen; er wartet, ab, bis der Versuch des panasiatischen (und deshalb projapanischen) Politiker Tran Trong Kim, eine ,,Unabhängige Republik Vietnam zu gründen", sich totlief.

Ho sieht auch ungerührt zu, als die Japaner  einen kommunistischen Aufstand im Süden Vietnams brutal zusammenschlagen - es sind die falschen Kommunisten, Trotzkisten, Hos innenpolitische Gegner, die ei auf diese Art ein für allemal los wird.

Die Strategie der Machtübernahme wird Mitte August auf einem kommunistischen Parteikongreß festgelegt, nachdem einige Zeit vorher die ,,Großen Drei" auf der Potsdamer Konferenz im besiegten Deutschland beschlossen haben, daß die Japaner in der Nordhälfte Indochinas von den Nationalchinesen entwaffnet werden sollten, die im Süden von britischen Landungstruppen. Dazu heißt es:

,,Wir müssen die Aufständischen so einsetzen, daß die Japaner noch vor dem Eintreffen der Alliierten in Indochina entwaffnet werden; wir müssen die Macht, die bisher in den Händen der Japaner lag, übernehmen und als einzige das Land beherrschende Autorität die Alliierten empfangen, wenn sie kommen, die Japaner zu entwaffnen."

Genauso geschieht es. Als der japanische Oberkommandierende in Indochina am 15. August 1945 erklärt, für seine Truppen sei der Krieg zu Ende, bricht der Aufstand los. Unter der Führung von Vo Nguyen Giap rückt die Volksarmee in das Deltades Roten Flusses ein, besetzt Hanoi.

In den darauffolgenden Tagen organisieren die ,,Propaganda-Brigaden" Massendemonstrationen in Hanoi, in der Kaiserstadt Hue und auch in der Südhauptstadt Saigon. Der seit 1932 amtierende Kaiser Bao Dai, der einige Male von den Franzosen abgesetzt und wieder eingesetzt worden ist, erklärt nunmehr seine Abdankung.

Dabei geschieht das, was für die Vietnamesen eine ideologisch-moralische Rechtfertigung für Ho Chi Minhs Machtübernahme ist: Kaiser Bao Dai übergibt offiziell und feierlich den Abgesandten Hos das kaiserliche Staatssiegel. In den Augen des in konfuzianischen Traditionen befangenen vietnamesischen Volkes ist damit das ,,Mandat des Himmels" rechtmäßig an den Vietminh übergegangen.

Der Vietminh erläßt einen Aufruf, indem das Nationale Befreiungskomitee als provisorische Regierung vorgestellt wird: ,,Achtet darauf, daß seine Befehle befolgt werden. Unser Kampf wird lang und hart sein, denn die Niederlage der Japaner gibt uns nicht gleichzeitig Freiheit und Unabhängigkeit ... Vorwärts unter dem Banner des Vietminh".

Letztmalig ist dieser Aufruf mit Nguyen Ai Quoc unterzeichnet. Obwohl Ho sich längst schon Ho nennt, weiß er doch, daß der geheimnisumwitterte, legendäre Name Nguyen Ai Quoc jetzt wirkungsvoller ist.

Karte- Frankreichs indochinesischer Kolonialbesitz,destehend aus Tonking,Annam,Kotschinchina,Laos und Kambodscha,im Jahre 1945.Nach der Niederlage Japans glaubten die Franzosen,hier wieder überall Fuß fassen zu können.

Gruß
Josef

md11

Dieser Name ist in Vietnam nicht als der eines kommunistischen Führers, sondern als der jenes vietnamesischen Patrioten bekannt, der schon 1919 In Paris als erster für die Unabhängigkeit der ,,Annamiten" eingetreten ist, den die Franzosen verfolgt und zum Tode verurteilt, die Engländer in Schanghai eingekerkert haben. Nur einmal noch taucht kurz darauf ein Schriftstück mit der Unterschrift Nguyen Ai Quoc auf. Das ist am 29. August 1945, als Ho in einer Vietminh-Versammlung in Hanoi die Bildung seiner Regierung bekanntgibt. Er selbst ist Präsident, Ministerpräsident und Außenminister. Die Schlüsselministerien Verteidigung, Inneres, Wirtschaft, Finanzen, Propaganda, Erziehung und Jugend sind natürlich in den Händen von Kommunisten. Bei dieser Gelegenheit zeigt Ho seinen Sinn für Humor.

Neben anderen Grußbotschaften wird auch ein Telegramm verlesen, in dem der Unterzeichnete Ho Chi Minh zum Amt des Präsidenten gratuliert und feststellt, daß nun ein neuer Abschnitt des Befreiungskampfes begonnen habe. Unterschrift des an Ho Chi Minh gerichteten Telegramms: Nguyen Ai Quoc.

Die Eingeweihten schmunzeln bei der Verlesung des Telegramms, Ho lacht über das ganze Gesicht: Er selbst hat der Versammlung dieses Telegramm geschickt. Auch den anderen wird bald klar, was dieser Scherz bedeuten soll, sie lachen und jubeln mit: Der alte Nguyen Ai Quoc ist tot, den verfolgten Revolutionär, den eingekerkerten Patrioten, den von Versteck zu Versteck Flüchtenden, den Kämpfer mit dem Tarnmantel der tausend Namen und Berufe - den gibt es nun nicht mehr.

Jetzt gibt es nur noch Ho Chi Minh, den Präsidenten Vietnams, jetzt kann offen gekämpft werden, jetzt gibt es kein Zurück mehr in das Dunkel der Illegalität.

md11

Am 2. September 1945, während an Bord des amerikanischen Schlachtschiffes Missouri in der Bucht von Tokio die japanische Kapitulationsurkunde unterzeichnet wird, ruft Ho Chi Minh in Hanoi vor 500 000 Demonstranten die ,,Demokratische Republik Vietnam" aus.

Die Unabhängigkeitserklärung, die Ho dabei verliest, entspricht zum Teil fastwörtlich der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung von 1776. Der kluge Propagandist und Agitator Ho weiß genau, was ertut. Kein Wort von Sozialismus und Kommunismus, keine Erwähnung der Namen Marx und Engels, Lenin oder Stalin. Verkündet wird lediglich unter ausdrücklicher Berufung auf die Unabhängigkeitserklärung der USA die Errichtung ,,einer republikanischen, demokratischen Ordnung". In der amerikanischen Presse erntet Ho, wie gewollt, entsprechenden Beifall.

Für die Franzosen in Indochina beginnt mit der Machtübernahme der Vietminh ein entsetzlicher Alptraum. War der Terror der Japaner seit dem 9. März schon schrecklich, so zeigt es sich nun, daß die vermeintlich so sanften und friedfertigen Eingeborenen noch viel schlimmer wüten als die Japaner. Auch die Südhauptstadt Saigon, wo die meisten Franzosen leben, ist fest in der Hand des Vietminh. Tagsüber ist es ruhig. Die mutigsten Frauen schleichen sich geduckt und ängstlich bis zum nächsten Markt, wo sie von vietnamesischen Händlern schlechtes Fleisch und angefaultes Gemüse für horrende Preise kaufen dürfen. Sobald die Dämmerung sinkt, kriecht Angst durch die Straßen in den Vierteln der Weißen. Eine seltsame Wanderung beginnt: jeweils fünf bis sechs Familien versammeln sich in einem ihrer Häuser, sozusagen um ihre Ohnmacht und Hilflosigkeit zu vereinen.

Die Männer spielen Karten, neben sich griffbereit die einzigen Waffen, die sie haben: Küchenmesser. Die Frauen horchen, halb hysterisch vor Angst, in die Nacht. Denn die Nacht ist nicht still, draußen wimmelt es von Vietminh. Man hört ihre schrillen, kehligen Rufe, hartes Lachen und das rhythmische Patschen ihrer Sandalen, wenn eine Gruppe in dem charakteristischen Gleichschritt-Dauertrott - pitschpatsch, pitsch-patsch, pitsch-patsch - draußen vorbeizieht. Wenn sie vorbeizieht; manchmal bricht das pitsch-patsch vor dem Gartentor plötzlich ab, Horror und Furcht wachsen ins schier Unerträgliche - sie greifen an. Dann gellen Todesschreie durch die Nacht, das entnervende Kreischen Gefolterter, das Gewimmer vergewaltigter Frauen.

Der Terror wächst von Tag zu Tag, erreicht einen grausigen Höhepunkt, als mehrere hundert in der Cite Herault (einem Häuserblock in der Innenstadt) zusammengetriebene Franzosen unter unbeschreiblichen  Umständen abgeschlachtet und zerstükkelt werden.

 Und dann, nach einem Monat des Grauens, der kein Ende zu nehmen schien, durchlief  ein Gerücht wie ein Lauffeuer die Stadt: ,,Sie" kommen. ,,Sie" - weiße Menschen, weiße Soldaten, Menschen aus der Außenwelt, von der die Franzosen in Indochina nun schon seit Jahren abgeschnitten waren. Rettung war nahe.

md11

Zuerst kamen die Briten, mehrere Gurkha-Regimenter (Elite-Truppe aus Männern kriegerischer nordindischer Stämme). Die Gurkhas erwiesen sich als überaus effektiv, sie stellten Ruhe und Ordnung in Saigon sehr rasch wieder her, dann kümmerten sie sich, auftragsgemäß, um die schon entwaffneten Japaner in ihren Kasernen und Lagern. Saigon überließen sie den ,,Paras", den französischen Fallschirmjägern, die bald nach ihnen gekommen waren.

Die Kolonialfranzosen waren glücklich, als die Gurkhas kamen, noch glücklicher, als die Paras eintrafen, endlich Landsleute, glänzend bewaffnet und ausgerüstet - doch das wurde eine gräßliche Enttäuschung. Die Paras kamen aus Frankreich, und da gab's zu der Zeit nur zwei Sorten Menschen: die miesen Kollaborateure, die mit dem nazihörigen" Vichy-Regime und mit den Deutschen selbst zusammengearbeitet hatten, und die anderen, also Widerständler und die Truppen, die sich unter de Gaulle am Kampf gegen Hitler-Deutschland beteiligt hatten.

Nach dieser simplen Scheidung zwischen gut und böse waren für die Paras die Kolonialfranzosen in Indochina allesamt üble Kollaborateure, hatten sie doch jahrelang der Vichy-Regierung gehorcht und überdies mit den Feinden, hier den Japanern, eben solange zusammengearbeitet.

Fassungslos mußten die Franzosen in Saigon erleben, daß die Paras eher Sympathien für die Vietminh äußerten und sich einen Dreck um die Landsleute scherten. Sofort wurde der Vietminh wieder munter, und die Paras sahen zu, außer wenn es gar nicht anders ging.

Dieser neuerliche Alptraum verschwand erst, als General Leclerc, der neue französische Oberbefehlshaber, eintraf, und mit ihm eine starke Panzerdivision. Nicht daß Leclerc eine bessere Meinung von den Kolonialfranzosen gehabt hätte als seine Para-Kameraden, durchaus nicht.

Aber er hatte den Auftrag, mit seinen Truppen das Land wieder in Besitz zu nehmen, ganz friedlich, wie man glaubte. Aber als Leclerc das versuchte und ziemlich sorglos ins Mekong-Delta einmarschierte, erlebte er sofort böse Überraschungen. Vorposten der nachts rastenden Truppe wurden von Vietminh-Guerillas überfallen und niedergemacht, das heißt in der landesüblichen Art zerstückelt. Am anderen Morgen fanden dann Leclercs Panzermänner von ihren Kameraden nur noch Einzelteile, blutige Arme, Beine, abgeschlagene Köpfe mit ausgestochenen Augen.

Das beendete schlagartig jegliche bei der Truppe vorhandene Sympathie für den Vietminh; wütend schlug die Truppe zurück, zu Dutzenden gingen die vietnamesischen Reisbauerndörfer in Flammen auf, wurden von Panzergranaten zerfetzt, die keinen Unterschied machten zwischen Vietminh, harmlosen Bauern, Frauen oder Kindern. Neuer Haß sprang auf, das blutige Karussell, das 30 Jahre nicht zur Ruhe kommen sollte, begann zu rotieren.

md11

Den Franzosen gelang es zwar, mit Duldung der britischen Besatzer, das ganze südliche Indochina, also die südliche Hälfte Vietnams sowie ganz Laos und Kambodscha wieder in Besitz zu nehmen. Freilich nur soweit, wie ihre Panzer und sonstigen Fahrzeuge rollen konnten: Die Franzosen hatten die großen befestigter Straßen und die daran gelegenen Hauptplätze, das Land dazwischen aber nicht. Da konnte man soviele Guerilla-Gruppen zusammenschießen, wie man wollte; als ob sie aus ihrer Asche auferstehen würden, waren immer wieder neue da.

Als das Jahr 1945 zuende geht, kommt General Leclerc zu der pessimistischen Erkenntnis, daß es unmög!ich sei, Indochina wirklich zurückzuerobern, jedenfalls nicht mit herkömmlichen militärischen Mitteln. Gegen diesen ,,Volkskrieg" der asiatischen Massen sei nicht anzukommen, es zu versuchen, würde nur zu einem endlosen Abnutzungskrieg führen.

Wie recht er hatte. Und er fand sogar einen verhandlungsbereiten Ho Chi Minh vor. Denn auch der war in Schwierigkeiten. Nicht nur, daß Franzosen und Briten ihm die Macht im Süden wenn nicht ganz abgenommen, so doch mindestens stark beschnitten hatten, auch im Norden herrschte er nicht mehr unumschränkt- da waren die Chinesen, Tschiangkaischeks Nationalchinesen, strikte Antikommunisten. Und kaum waren die Chinesen da, da wurden - unter ihrem Schutz - auch Ho Chi Minhs innenpolitische Gegner wieder aktiv, Politiker der ,,Nationalen Partei" und der ,,Revolutionären Liga".

Ho mußte die Chinesen loswerden, und das veranlaßt ihn, den Franzosen Zugeständnisse zu machen: sie dürfen wiederkommen. Es kommt zu einem Vertrag, in dem Frankreich die ,,Demokratische Republik Vietnam" anerkennt als einen ,,freien Staat mit eigener Regierung, eigenem Parlament, eigener Armee und eigenen Finanzen", jedoch ,,als Teil der Indochinesischen Föderation und der Französischen Union" Die ,,Demokratische Republik Vietnam" räumt Frankreich das Recht ein, für fünt Jahre Truppen im Land zu stationieren.

Dieses Abkommen wird Ho von seinen radikaleren Anhängern recht übel genommen, sie verstehen nicht, wie man mit Kolonialherren paktieren kann. Für Ho ist das keine ideologische Frage, sondern eine praktische: Die Franzosen drängen die Chinesen aus dem Land; wie man die Franzosen los wird, wird man dann sehen, wobei sich Ho einiges davon verspricht, daß in der Pariser Regierung zu dieser Zeit auch Kommunisten sitzen, Parteigenossen von ihm

Ho macht noch mehr, was seine Freunde wundert: er inszeniert so etwas wie eine ,,Demokratisierung", gesteht der ,,Nationa len Partei" 50 Sitze im Parlament zu, der ,,Revolutionären Liga" 20 Sitze, er läßt sogar die Gründung einer neuen Partei zu, der ,,Sozialistischen Partei", in der sich seine Feinde aus dem linken Lager sammeln, Sozialdemokraten, Trotzkisten und dergleichen. Genau das will er: seine Gegner ins Offene locken.

Die Rechnung geht auf: die Franzosen kommen, die Chinesen gehen, und kaum sind sie fort, da sind alle bis dahin von ihnen Beschützten schon so gut wie tot: eine Terror-Welle fegt durch das Land, wer nicht für Ho und den Vietminh ist, wird eingesperrt oder liquidiert, Führer der Nationalen ebenso wie Trotzkisten, Kaiserliche Mandarine, katholische und buddhistische Priester.

Im Norden geht das ohne viel Widerstand, im Süden kommt es zu Kämpfen zwischen Vietminh und anderen vietnamesischen Gruppen, doch auch da - auf dem Land, nicht in den Städten - behält der Vietminh die Oberhand.
Viele Leichen treiben in diesen Wochen die großen Ströme des Landes - Schwarzen Fluß, Roten Fluß und Mekong - hinunter ins Meer: die übliche Mordmethode der Vietnamesen untereinander ist das Ersäufen.Das Opfer wird in einen Korb aus  Schilfgeflecht gesteckt und damit solange unter Wasser gedrückt, bis es ertrunken ist. Ein kurzer Ruck an einem Hanfseil öffnet den Korb, die Leiche gleitet hinaus und treibt stromab, der Korb ist bereit für das nächste Opfer.

Ho Chi Minh ist während dieser Terrorwelle, die ihm seine Macht über Nordvietnam endgültig sichert, nicht im Land, sondern in Paris: er versucht, die echte Unabhängigkeit seines Landes am Konferenztisch zu erreichen. Doch das gelingt ihm nicht. Selbst seine Genossen, selbst KPF-Chef Maurice Thorez, machen da nicht mit. Sie sind sehr nationalistisch zu dieser Zeit, Thorez erklärt ungeniert, er ,,wünsche von ganzem Herzen, die Trikolore über allen Ländern der französischen Union wehen zu sehen" und er wünsche keineswegs, ,,als Liquidator der französischen Besitzungen in Indochina angesehen zu werden."

Bild- Panzerpatrouille im Reisfeld

md11

Für Ho ist das sehr bitter, drei Monate hat er zähe verhandelt, und am Ende bleibt ihm nichts anderes übrig, als eine Vereinbarung zu unterschreiben, in der viel von Freundschaft und herzlicher Verbundenheit zu lesen steht, aber rein gar nichts von staatlicher Selbständigkeit Vietnams. Nur eine einzige klare Aussage steht in der Vereinbarung: es soll weiter verhandelt werden, spätestens im Januar 1947. Doch dazu kommt es nicht.

Als Ho nach Hanoi zurückkehrt, ist die Stimmung dort nicht günstig für ihn. Die Radikalen, zu denen auch Hos enger Vertrauter Giap zu rechnen ist, sehen keinen Sinn in weiteren Verhandlungen; schon mehren sich Überfälle auf französische Außenposten, obwohl die französischen Truppen ja aufgrund eines Vertrages im Lande sind. Ho kann das grade noch bremsen; er überspielt das durch eine wuchtige Propaganda-Kampagne für eine neue Verfassung. Die geht vor allem ihn an, denn es handelt sich um eine Verfassung, die dem Präsidenten diktatorische Vollmachten zuschiebt: er wird auf fünf Jahre unabsetzbar gewählt, er allein ernennt die Regierung, er ist oberster Befehlshaber aller Streitkräfte, er allein vertritt den Staat und er steht, so wörtlich in dieser Verfassung.,,über dem Gesetz".

Und wie heißt der neue Präsident? Ho Chi Minh natürlich.

Aber diese Machtfülle ändert nichts daran, daß er die Radikalen nicht mehr bremsen kann. Ihre Angriffe auf die Franzosen sind denen ein willkommener Vorwand, zurückzuschlagen, ohne damit vertragsbrüchig zu werden.

Die Zwischenfälle häufen sich. Am 20. November bringen die Franzosen im Hafen von Haiphong eine große chinesische Dschunke auf, die Brennstoff und Waffen geladen hat, für die Vietminh-Armee. Die chinesischen Schiffer lassen sich von den paar Franzosen nicht abhalten, ihre Dschunke am Kai zu vertäuen und mit dem  Ausladen zu beginnen. Die Franzosen holen Verstärkung, und als die kommt, ballern Vietminh-Posten, die den Waftentransport sichern, sofort los.

Es gibt Tote auf beiden Seiten. Der französische Militärbefehlshaber verlangt, daß das Hafenviertel unverzüglich von den, Vietminh-Truppen zu räumen sei. Als er keine Antwort bekommt, schickt er Panzer. Die stoßen auf heftigen Widerstand, der Panzerkommandeurfunkt den im Hafen liegenden Kreuzer Suffren um Artillerie-Unterstützung an.

Der Feuerleitoffizier des Kreuzers entdeckt  am Rande des Chinesenviertels eine lange,  geordnete Marschkolonne. Das sind sie, denkt er, und gleich darauf fetzen die 15,2 cm-Granaten dazwischen, Salve auf Salve. Schließlich liegen 6000 Menschen tot und  verstümmelt in ihrem Blut.

Aber es ist kein einziger Soldat dabei, es  sind alles Zivilisten, Männer, Frauen und Kinder, die sich vor den bevorstehenden Kämpfen in Sicherheit bringen wollten - Vietnamesen sind unwahrscheinlich disziplinierte Menschen, auch wenn sie voreiner Gefahr fliehen, dann tun sie das geordnet, in Reih und Glied.

Das Blutbad löst eine gewaltige Woge von Haß und den Wunsch nach Vergeltung aus. Giap überzeugt Ho, daß auf das Massaker von Haiphong ein Schlag gegen die Franzosen folgen müsse. In Haiphong mag er nicht angreifen, da sind die Franzosen mit ihrer Schiffsartillerie zu stark, aber aus
Hanoi,sagt Giap,wird er sie innerhalb eines Tages und einer nacht verjagen.

md11

Allerdings, das kann er nicht gleich, er braucht etwas Vorbereitungszeit - und die langt den Franzosen, um zu merken, daß sich etwas zusammenbraut. Als Giap am 19. Dezember, um 20 Uhr, seine Volksarmee angreifen läßt, sind die Franzosen nicht überrascht, Giap kann nur Anfangserfolge erreichen, am nächsten Tag wendet sich das Blatt: trotz guter Ausbildung und guter, teils japanischer, teils amerikanischer Bewaffnung, sind Giaps Dschungelsoldaten den vom Krieg her erprobten französischen Einheiten nicht gewachsen, der Angriff schlägt völlig fehl, statt daß Giap die Franzosen aus Hanoi verjagt, verjagen diese die Vietminh samt ihrer Regierung. Ho, Giap und alle anderen müssen Hals über Kopf aus dem Präsidenten-Palais flüchten.

Sie gehen zurück in die Bergwildnis, aus der sie vor anderthalb Jahren gekommen sind.

 Kaum in seinem Höhlenhauptquartier in  Sicherheit, schickt Ho Chi Minh den Franzosen eine Botschaft: Er erklärt ihnen den Krieg. Der schreckliche dreißigjährige Krieg, bis dahin in einer Art Schwelzustand, nun beginnt er offiziell.

Den Franzosen ist diese Kriegserklärung willkommen, unbeschwert durch Verträge können sie nun das tun, was die Situation nehelegt, und das ist: dem geschlagenen Gegner schleunigst nachstoßen.

Die ,,Operation Lea" wird geplant. Ein Unternehmen, gezielt darauf, diese überaus lästige kommunistische Plage sozusagen zu köpfen: Fallschirmjäger vorneweg, als Vorhut der Panzer, für die sie aus der Luft Depots anlegen, auf dem Klaren Fluß Schnellboote nordwärts - eine ziemlich extravagante Aktion, für die in aller Eile alles zusammengekratzt wird, was die französische Armee nur auftreiben kann. Ein paar besonders gute Einheiten allerdings fehlen - die schlagen sich weit ab, auf der Insel Madagaskar, mit dortigen Aufständischen herum.

Es gibt Militärhistoriker, die meinen, wenn diese Verbände im Frühsommer 1947 in Indochina zum Einsatz bereitgestanden hätten, dann wäre alles ganz anders ausgegangen. Möglich zwar, aber wenig wahrscheinlich.
Denn das Unternehmen ,,Lea" läuft auch so wie geplant, die Panzer jagen die RC 4 (Route Coloniale Nr. 4) nordwärts, die Paras springen richtig, finden auch Hos Hauptquartier. Nur Ho, den finden sie nicht.

In seinem bescheidenen Verließ ist der Tee noch heiß, Akten liegen auf dem Tisch. Aber Ho und seine ganze Führungsmannschaft, die sind weg. Wieviel hat gefehlt? Eine viertel, eine halbe, eine ganze Stunde? Niemand weiß es.

Hat sich da, um eine halbe oder ganze Umdrehung des großen Zeigers, ein Stück Weltgeschichte entschieden? Manche meinen es. Lucien Bodard, einer der besten Kenner des Landes und seiner jüngeren Geschichte, schreibt: ,,Es war wegen dieser einen verpaßten Stunde, daß der Krieg in Indochina weiterging und sich allmählich zu einer schauerlichen Tragödie entwickelte."

Hat er recht? Möglich ist es schon. Wenn es damals gelungen wäre, Ho, Giap, die ganze Führungsspitze aus dem Verkehr zu ziehen - fraglich, ob sich neue Führer vergleichbaren Formats gefunden hätten.
Aber das sind müßige Spekulationen. Knapp entwischt ist auch entwischt - Ho, Giap und andere, sie hatten zum zweiten Mal fliehen müssen, aber sie blieben frei, den grausamsten aller Kriege weiterzuführen.

Gruß
Josef